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männerrundbrief

Die Bereitschaft zum Krieg ist die Bedingung für den eigenen Frieden (1993)

Es ist soweit: der erste deutsche Soldat hat seine „Hilfsbereitschaft“ mit einer Kugel mitten ins Herz (BILD, 15.10.93) bezahlt. Er tauschte seinen Einsatzplatz im „Haus der Engel“ – so soll das Deutsche Hospital von der kambodschanischen Bevölkerung genannt werden – mit einem Sitz auf Wolke sieben inmitten der himmlischen Heerscharen. Schade: der erste tote Held hätte bei einem richtigen Einsatz, in Somalia, mehr hergemacht: militärisches Zeremoniell am Grab, „Kaum aber deckten Erdschollen den Sarg, so donnerten drei Salven himmelan“, live-Übertragung der Beerdigung, ergriffen weinende Menschen am Grab, das Heeresmusikkorps spielt das „Lied vom guten Kameraden“ und später „We are the Champions“, Daß Tote

  • „leider“ im Rahmen der UN-Hilfe,
  • „erwartungsgemäß“ für die Umsetzung der Großmachtambitionen des deutschen Imperialismus,
  • „notwendigerweise“ im Rahmen der Übernahme globaler Verantwortung entsprechend der wirtschaftlichen Bedeutung des wiedervereinigten Deutschlands,
  • „tragischerweise“ für die Durchsetzung der Menschenrechte,
  • „unnötigerweise“ wegen der konzeptionslosen Durchführung der Hilfsaktion,

in Kauf genommen werden müssen, ist beschönigend; der erste Tote wird (nicht nur von Kriegshetzern aller Parteien und Fraktionen, auch von Einsatzgegnern) geradezu heiß ersehnt.

Der Bund von Nation und Mann, der Pakt zwischen Regime und Volk muß als nationaler Konsens mit Männerblut begossen werden, damit er hält. (Die eigene Siegerperspektive darf allerdings nicht durch zuviele Märtyrer deutscher Hilfsbereitschaft gefährdet werden.)

Bundeswehreinsätze z.B. in Kambodscha oder Kurdistan sind nichts wirklich Neues. Seit Jahren werden sie im Rahmen der UN als ‚humanitäre Hilfsaktionen‘ propagiert und durchgeführt. Der Einsatz in Somalia begreift sich als die erste ‚echte‘ Kriegshandlung Deutschlands nach dem Nationalsozialismus. „Es ist gut, wieder dabei zu sein“, kommentierte der Befehlshaber der ersten deutschen Einheiten sein Eintreffen in Somalia. Wundern tut sich niemand: zu gut paßt Krieg in das jetzige politische Klima.

Der Bundeswehreinsatz in Somalia ist Teilnahme an aktiver Kriegsführung. Als Teilnahmebedingung reicht es nicht aus, daß auf Befehl des Regimes ein neues ‚Afrika-Korps‘ in die Wüste geschickt wird. Es braucht vor allem eine gesellschaftlich breit durchgesetzte Bereitschaft, einen gesellschaftlichen Willen zu diesem Kriegseinsatz. Im Spannungsfeld zwischen Befehl und Bereitschaft findet eine Militarisierung der Gesellschaft statt.

Militarisierung wird – wenn nicht platt als ein Problem der Armee – als ein sozialer und gesellschaftlicher Prozeß hin zur kriegsführenden Partei verstanden. Sie erscheint heute als Weg Deutschlands zum Vierten Reich oder zur neuen großdeutschen Imperialmacht, die in Ostafrika ‚unsere Ölquellen‘ verteidigt. Oder kompliziert ausgedrückt: Militarisierung ist jene soziale Tendenz zur bewaffneten Auseinandersetzung, die durch eine Neubewertung aller möglichen Lebenswerte dahingehend charakterisiert wird, daß diese Werte ausschließlich unter dem Aspekt ihrer Funktionalität für den Sieg über den Gegner betrachtet werden.

Es bleiben Fragen. Woher kommt die Bereitschaft für Krieg? Wer trägt sie? Warum schließen ganz normale Männer wie du und ich jenen Pakt, der von ihnen einen ganz anderen Einsatz als lediglich Geld für die UN verlangt; nämlich ein Risiko, das die Bereitschaft zu töten und zu sterben umfaßt? Es ist der gewalttätige Einsatz dieser Männer, der die Militarisierung durchsetzt und zur Wirklichkeit macht; aber ihre Beteiligung funktioniert weder repressiv oder überidentifiziert („Führer, befiehl – wir folgen!“) noch mechanisch (Aus der objektiven Analyse der ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen folgt das subjektive Verhalten). Der Kriegseinsatz an sich, die Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen ist ein wesentlicher Baustein im Prozeß einer innerdeutschen gesellschaftlichen Formierung, die insbesondere auf Definition und Durchsetzung eines neuen Geschlechterverhältnisses zielt.

Um diese These verständlich zu machen, wollen wir das ‚politische Klima‘ aus unserer Sicht kurz skizzieren und versuchen, den für uns wichtigen Zusammenhang zwischen Männermacht und Militarisierung darzustellen.

Die gesellschaftliche Entwicklung ist seit Mitte der 80er Jahre durch eine neue patriarchale Offensive gekennzeichnet. Die Angriffe gegen Frauen und die in den 70ern stark gewordene Frauenbewegung bewegen sich zwischen der Zuweisung klassischer Frauenrollen (Hausfrau und Mutter), dem Versuch, Frauen selektiv und nach patriarchalen Kriterien gesellschaftlich zu beteiligen und der offensiven Propaganda der Verfügbarkeit des weiblichen Körpers. Die Ausweitung (unbezahlter) weiblicher Reproduktionsarbeit (u.a. im Verhältnis zu alten und kranken Menschen), der Pornoboom, die Weiterentwicklung der Gen- und Reproduktionstechnologien, das §218-Urteil, … gehören dazu und sind Ausdruck männlicher Formierung. (Damit meinen wir den Prozeß, in dem die Interessen der einzelnen Männer zusammenkommen, sich eine gemeinsame Stoßrichtung/Form geben und gesellschaftlich als ‚ideeller Gesamt-Mann‘ auftreten.) Die Angriffe auf Flüchtlinge und alle Nicht-Deutschen machen sich nicht nur an den Brandanschlägen organisierter Neofaschisten und rechter Männerbanden und an den staatlichen Vertreibungsprojekten (Lager, Asylgesetz, …) fest; sie entfalten ihre Wirkung in dem breiten rassistischen Konsens. Die soziale Destabilisierung (Gesundheitsreform, Kürzungen aller Sozialgelder, Arbeitslosigkeit) trifft nicht nur die Armen und erhöht die Profite; sie bildet den Rahmen, in dem es v.a. um den Kampf um den eigenen Platz in der sozialen Hierarchie geht. Rassistischer Konsens und Kampf um eigene Privilegien sichern die imperialistischen Interessen der BRD und die Ausbeutung des Trikonts hier ab.

Diese Entwicklung hat mit der ‚Wiedervereinigung‘ einen besonderen Schub erfahren. (Daß und wie die Menschen in der ehemaligen DDR von der BRD ‚fertiggemacht‘ werden, soll hier nicht Thema sein.) Die ’nationale Idee‘ war in Deutschland als Massenbewußtsein blockiert bzw. eingeschränkt. Zum einen durch die Geschichte des Nationalsozialismus und den Holocaust, zum anderen (es klingt zynisch) dadurch, daß der Krieg schließlich verloren wurde. Schon in den 80ern wurde z.B. in der sog. Historikerdebatte der Ruf laut, daß der NS nun endgültig vergessen werden müsse. Mit der ‚Wiedervereinigung‘ wurde Deutschland nicht nur völkerrechtlich als Nation anerkannt; im Massenbewußtsein reifte endlich die Vorstellung von Nation, sei diese nun Doitschland, Europa oder der ‚westliche‘ Staatenbund.

Frauen haben einen Begriff von Nation geprägt, der ein tieferes Verständnis für den Zusammenhang zwischen Nation, Imperialismus und Patriarchat ermöglicht. Sie beschreiben Patriarchat als innere Kolonisierung der ‚eigenen‘ Frauen und äußere Kolonisierung anderer Nationen, insbesondere ‚deren‘ Frauen. Auf ideologischer Ebene entsprechen dem Sexismus und Rassismus. Für ‚weiße Männer‘ ist die Beherrschung und Ausbeutung von Frauen und anderen Nationen eine nationale Aufgabe.

Das ist der Ausgangspunkt, von dem aus wir den Prozeß der Militarisierung zu beschreiben versuchen. Sexismus, Rassismus und imperiale Interessen bilden den gemeinsamen Hintergrund für ‚weiße Männer‘.

Das allgemeine Interesse von Männern, die Ausbeutung jeglicher Arbeit von Frauen zu verschärfen und auszuweiten und das gesellschaftliche Kräfteverhältnis gegenüber Frauen zu ihrem Vorteil zu verändern, wird in einer Situation, in der die Männer das Monopol auf Waffen haben, zu einem besonderen. Das Männer-Monopol organisiert sich als Armee, als bewaffneter Männerbund, dessen gesellschaftliche Reproduktion gewaltsam und gewalttätig immer wieder neu durchgesetzt werden muß – es gibt keine militärische Organisation, die sich durch eigene Reproduktionsarbeit aufrecht erhält: in der Armee als Form der militärischen Organisation sind sowohl die geschlechtsspezifische, patriarchale Arbeitsteilung als auch das Waffenmonopol der Männer vergesellschaftet.

Militarisierung als Prozeß bedeutet für die Männer, die ihn durchlaufen, die Lösung aus dem direkten sozialen Verhältnis zu Frauen. (Dies ist jenseits der Kriegspropaganda die geheime Bedeutung der Bilder von Soldaten, die auf der Fahrt zur Front ihren zurückbleibenden Frauen fröhlich zuwinken.) Durch die Organisierung als Männerbund werden sie Teil einer allein von (bewaffneten) Männern bestimmten Ordnung, in der sie eine ganz neue Inwertsetzung ihrer männlichen Subjektivität erleben. Ihr gemeinschaftliches Verhältnis zu Frauen verändert sich zu einem offen gewalttätigen Verhältnis; ‚offen‘ in dem Sinne, daß auf jeden Versuch einer Legitimierung verzichtet wird. Dieses Verhältnis muß von der Armee als organisierter Form ständig neu gesellschaftlich durchgesetzt werden und von jedem Mann auf individueller Ebene. Das wird deutlich u.a. darin, daß jede einzelne mißhandelte Frau zu einer Botschaft von Mann zu Mann, daß der Körper der Frau zu einem wesentlichen Teil der Kommunikation unter Männern gemacht wird: Wir haben die Macht. Die Armee definiert den ‚Code‘ dieser Kommunikation: die einzelnen Männer benutzen, ’sprechen‘ ihn und verschaffen ihm materielle Wirksamkeit. Die Militärsoziologin Ruth Seifert erklärt: „Die Verfügungsgewalt wird total. Für die Etappe gibt’s (staatlich organisierte) Bordelle. Die Bedingungen des Kriegs ermöglichen die unmittelbare Durchsetzung der angestrebten Pläne; sie organisieren ein patriarchales Lernprogramm (in der ‚Schule der Nation‘) zur Durchsetzung neuer Umgangsformen. Krieg ist bloße Übergangszeit zur Nachkriegszeit, zur re-formierten Gesellschaft.“ ‚Unsere Jungs‘ haben ihr Lernprogramm längst kapiert – sie verbringen ihren Wochenendurlaub lieber in kenianischen ‚Vergnügungsvierteln‘ als mit der Familie zu Hause. Offensichtlich ist aber der angestrebte nationale Konsens noch nicht genügend gesichert, denn deren Familien – als ‚ihre‘ Frauen – „seien dadurch verunsichert worden, meldet die Truppe“ (SZ 9.8.93).

Der alltägliche Kampf jedes einzelnen Mannes zur Erzwingung der weiblichen Reproduktionsarbeit soll auf diese Weise aus der persönlichen und sozialen Konfrontation gelöst, vom jeweils aktuellen konkreten Kräfteverhältnis unabhängig gemacht und auf eine eigenständige Ebene männlicher Organisierung gebracht werden. In dem Maß, wie dies gelingt, bedeutet es eine drastische Verschiebung des gesellschaftlichen und persönlichen Kräfteverhältnisses zu Gunsten der Männer.

Dies wäre der Preis, den die Männer für den Abschluß des Pakts einzuheimsen hoffen: das Versprechen und die Aussicht auf dieses neue Geschlechterverhältnis, auf eine stärkere, weniger anstrengende und weniger Widerstand überwinden müssende Verfügungsgewalt über Frauen und die von ihnen geleistete Reproduktionsarbeit. Diese Aussicht hat männermassenmobilisierende Wirkung, wie wir in vielen Kriegsfällen sehen konnten und können.

Das Fallenlassen des Mythos der Geschlechtsneutralität ermöglicht uns, Militarisierung als sozialen Prozeß zu begreifen, der mit der Erzwingung weiblicher Reproduktionsarbeit und der Durchsetzung der männlichen Definitionsmacht über Ziele, Zweck und Form dieser Arbeit beginnt und endet. Dies ist scheint uns Kern der Militarisierung. Dabei stellt das Militär nur den Prototyp dieses sozialen Modells dar: die Organisierung in Männerbünden ist für Männer eine hoch attraktive Alternative für die eigene Lebensgestaltung und nimmt einen viel breiteren gesellschaftlichen Raum als den des Militärs ein.

Aber muß der Pakt tatsächlich mit Blut bezahlt werden? Reicht das bloße Schauspiel deutscher Soldaten unter der brennenden afrikanischen Sonne nicht aus? Wohl kaum – erst ‚eigene‘ Tote im ‚richtigen‘ Krieg ermöglichen das Feuern: Ohne Toten kein Sarg: aber dieser wird ja gerade benötigt, um mit dem deutsch-nationalen Lappen bedeckt als Symbol für den Pakt von Mann und Nation im Mittelpunkt der Beerdigungs-Inszenierung zu liegen.

Ohne Toten auch keine betroffene Stellungnahme, daß unnötig (deutsches) Blut vergossen wird und andere Maßnahmen wirkungsvoller seien.

Ohne Toten auch keine Häme „ein Imperialist weniger“.

Für uns kein Grund zum Feiern: Das Ritual des toten Soldaten segnet den Pakt; eine Diskussion, die Militarisierung nicht thematisiert, treibt sie voran.

AG Männerdiskussion

[1] Das edle Ziel der ‚Hilfeleistung‘ soll die Einsätze legitimieren. Wie rassistisch dies verläuft, erläutert die FAZ: „Bundeswehrsoldaten, die im Rahmen der Vereinten Nationen helfen sollen, müssen sich verteidigen können gegen diejenigen, die sich oder anderen nicht helfen lassen wollen“.

[2] Nationalismus wird von Frauen als patriarchales Paradigma, der bürgerliche Nationalstaat europäischer Prägung als Reaktion auf eine gesellschaftliche Stärke von Frauen beschrieben – Nation und Patriarchat bilden eine Einheit. Untersuchungen von Frauen: Beiträge, Bd. 13 und 27; Bublitz/Kuhn (in: metis); E. Kreisky (in: ila 163, 1993); C. Fregiehm (taz/woz); R. Seifert (in: Stiglmayer, Hg.)

[3] Text von Schweizer Frauen: Frauen – Der längstandauernde, umfassend-revolutionäre Befreiungskrieg (in: Interim)

[4] Konkrete Beispiele, wie die (Re-)produktionsarbeit von Frauen für eine Armee aussieht: Der Krieg gegen die Frauen. Zum Zusammenhang von Sexismus und Militarismus, Bielefeld 1990, S. 116-147

[5] Daß der beschriebene Zusammenhang den Namen des UNO-Kriegseinsatzes in Somalia – „Operation Neue Hoffnung“ geprägt habe, mag übles Gerücht sein.)

Aus: Männerrundbrief Nr. 2, Dezember 1993, S. 16-19.