Alle Ausgaben des Männerrundbriefs neben- und übereinander

männerrundbrief

Zum Widerstand gegen den »Missbrauch mit dem Missbrauch«- Kongreß in Berlin

Der folgende Beitrag ist eine Zusammenfassung von Aktionen, Flugblättern und Positionen rund um den Kongress. Anschließend dokumentieren wir zwei Männerflugies, die auf dem Kongress verteilt wurden.

Am 20. und 21.01.94 fand in der technischen Fachhochschule in Berlin-Wedding eine Tagung zu sexueller Gewalt gegen Kinder unter dem Motto: »Sexueller Missbrauch – Evaluation der Praxis und Forschung« statt. Angeleitet wurde diese durch den Rektor der ASFH Reinhard Wolf1 in Zusammenarbeit mit dem Berliner Jugend- und Familiensenator Thomas Krüger.

Bereits beim Blick auf den Einladungstext zur Tagung, auf Referentinnen und Themenauswahl zeigte sich, dass sich diese Tagung gegen feministische Projekte wie »Wildwasser« oder »Zartbitter«, die sich mit sexueller Gewalt gegen Kinder beschäftigen, richtet. 2Kein Wunder. Bereits 1990 lancierte der alt-68er und »Kinderschützer« Reinhard Wolf zusammen mit seiner Frau Angela Wolf in der Fachzeitschrift »Sozial Extra« das seither viel zitierte Schlagwort vom »Missbrauch mit dem Missbrauch«.3

Wer diesen »Missbrauch des Missbrauchs« betreibt erläutern im Herbst 1992 einige Anhänger Dieter Duhms4 in einem ZEGG Sonderheft: Ein Zusammenschluss »von organisiertem Feminismus, Presse und Kirche«, eine »Anti-Sex-Allianz«. Angestachelt werde sie vom »Hass durchgedrehter Radikalfeministinnen gegen alles, was männlich ist, Haare auf der Brust hat und einen Penis trägt«. Fazit: »Es geht um organisierte Frauenrache am Mann.«

Das Ausmaß der sexuellen Gewalt wird als allgemeine Missbrauchspanik konstatiert, die Häufigkeit der »Fälle« durch eine extrem verengte Definition von sexuellem Missbrauch heruntergerechnet. Der Zusammenhang zwischen sexuellem »Missbrauch« und Gewalt wird geleugnet. Bei bewiesenen Extremfällen als »…zu frei verstandene Sexualität« definiert. Die erkämpften Selbsthilfe-Strukturen von Frauen werden in Frage gestellt. Wieder sind Betroffene unter starkem Beweiszwang, wenn sie ihre Gewalterlebnisse aufdecken. Der Grundsatz, den Mädchen und Jungen zu glauben, wird als »Verdachtshysterie« abgewertet.

Beteiligt an der »Missbrauch mit dem Missbrauch«-Kampagne ist auch der Männerbuchautor Ernest Bornemann, der gern gesehener Gast bei der ZEGG ist. In einer ihrer Broschüren schreibt er: »Wenn man jede Form der Liebe, die sich nicht innerhalb der gleichen Generation bewegt, von vorneherein verdammt, schädigt man das Kind.« An anderer Stelle schwärmte er: »Wer nie erlebt hat, wie ein launisches Püppchen von zehn Jahren einen gestandenen Mann von 40 herumkommandiert, der weiß wenig über Sexualität«.

Eine andere wichtige Propagandistin dieser Szene ist Katharina Rutschky. In ihrem im Frühjahr ’92 erschienenen Buch »Erregte Aufklärung« behauptet sie, Organisationen wie »Wildwasser« und »Zartbitter«, die vergewaltigten Kindern Schutz und Zuflucht bieten, hätten lediglich das Ziel sich selbst zu bereichern: »Es muss also ein neuer Bedarf produziert werden, auf den mit Geldern, Planstellen, Beratungseinrichtungen und Fortbildungsmaßnahmen reagiert werden kann«. Während die meisten Frauen in Projekten zum Schutz von vergewaltigten Mädchen und Jungen umsonst arbeiten, verdient Rutschky, die für die Täter arbeitet, Geld an der sexuellen Gewalt. Ihr Buch verkauft sich gut. Es spricht anscheinend an, wenn Rutschky »…wohlgefälliges an die Brüste der heranwachsenden Tochter fassen« als liebevolle väterliche Geste deutet.

Verschiedene FrauenLesbengruppen aus Berlin schätzten die Tagung und die sonstigen Aktivitäten so ein: »Der Zeitpunkt der Debatte um den sogenannten ›Missbrauch mit dem Missbrauch‹ kann nicht vom allgemeinen gesellschaftlichen Klima losgelöst betrachtet werden. Gegenwärtig werden in einem rassistischen-sexistischen Klima zunehmend Opfer zu Tätern verkehrt. Darüber hinaus wird die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, der Frauenbewegung den Garaus zu machen, deren Verdienst es ist, den sexuellen Missbrauch in seiner Dimension öffentlich zu machen. …Wolf und Rutschky porträtieren sich darin einerseits als Vertreter einer ›freien Sexualitätspädagogik‹ und schaffen gleichzeitig noch den Schulterschluss mit erzkonservativen Familienaposteln, die den Schutz der Familien zur nationalen Aufgabe erklären.«


Am 20.01. protestierten schließlich 200 Leute gegen das zweitägige Forum. »Schützt die Kinder, nicht die Täter« und »Schluss mit der Verharmlosung sexueller Gewalt« waren ihre Parolen. Mit Buttersäure, Trillerpfeifen, Hupen sowie einer Blockade des Veranstaltungsortes konnte zumindest der Beginn der Tagung um vier Stunden verzögert werden. Zu guter Letzt gingen in dem stinkenden Saal die Lichter aus ein neuer Raum musste gefunden werden. Außerdem wurde die Kasse mit den Eintrittsgeldern (immerhin 125,- mack pro Person) rechtzeitig vor dem Eintreffen der Polizei in DemonstrantInnenhand gebracht.5

Der Männerbewegungspromi Wilfried Wieck beschrieb die Aktionen in der TAZ vom 4.02.94 als »einfühlbar und angemessen«. Weiter vertrat er: »Prof. Wolf hat durch seine zwangsneurotische Geheimhaltungsstrategie genau diese Reaktion heraufbeschworen und also vorgeplant. Er will offenbar heute auch einmal als »Märtyrer« resüssieren. Die »Tumulte « gehen voll auf sein Konto, die »Rempeleien« waren vor allem durch seine Anhänger inszeniert worden.
…emotionalisiert haben die Tagung nicht sogenannte »Gegner« der Veranstaltung – meiner Einschätzung nach zurecht aufgeregte Frauen und Männer – sondern die ansonsten absolut cool wirkenden Wolf und Rutschky. …Wolf und Rutschky müssen auch ihren politischen Widerstand erfahren, damit die ermutigende Erfahrung, dass immer mehr misshandelte Mädchen und Jungen sich Personen ihres Vertrauens offenbaren, nicht bedroht wird und dass attackierte Kinder nicht wieder noch mehr … verunsichert werden.«

Demgegenüber schrieb eine Verteidigerin Rutschkys in der selben TAZ: »Die Gewalt, die Katharina Rutschky erleben musste, ist entsetzlich und abscheulich … Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von Interessen ist genau das, was wir nicht mehr haben wollen … Widerlich! die Täterinnen müssen sich bei Frau Rutschky zumindest entschuldigen, wenn sie auch die Folgen ihrer Gewalttat nicht mehr ungeschehen machen können. …dass das gewalttätige Verhalten gegenüber Frau Rutschky einer ganzen Bewegung Schaden zufügt, macht die ganze Sache zusätzlich unerträglich …Mal sehen, ob die Täterinnen auch diese typischen Symptome zeigen werden: Fehlendes Schuldbewusstsein, kein Mitgefühl gegenüber dem Opfer, kein Verantwortungsgefühl für mögliche Auswirkungen ihrer Tat. Wenn sich dies tatsächlich zeigen sollte, dann »Pfui«.«

»Wer sexuelle Gewalt verharmlost, beschönigt oder umdefiniert, trägt zu ihrem Fortbestand bei«, stand im FrauenLesbenaufruf gegen die Tagung. Wenn der Bewegung der »Pro-Kindersex-Allianz« Schaden zugefügt wird, zeigt dies nicht nur »Mitgefühl« mit »Opfern«, sondern auch deren Widerstand. Und genau das sind wichtige Schritte für ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben.

  1. Der ehemalige SDSler Wolf gründete Anfang der 80er das Berliner »Kinderschutzzentrum«. Ende der 80er entwickelte er für den »Deutschen Kinderschutzbund« die neue Strategie »Hilfe statt Strafe«. Dahinter steckt der sog. »Familienorientierte Ansatz«, will heißen das »Opfer« wird nicht vorm Täter geschützt und von ihm getrennt, sondern mit ihm gemeinsam therapiert. (Quelle: Emma Okt. ’93) ↩︎
  2. Aus dem Aufruf von FrauenLesben gegen die Tagung: »Verdrehte Aufklärung – Das Patriarchat schlägt zurück« Interim: Nr. 270. wird noch an mehreren Stellen zitiert. ↩︎
  3. Quelle:»Falsche Kinderfreunde« Emma Sept./Okt 93. wird ebenfalls öfter zitiert. ↩︎
  4. Dieter Duhm ist Gründer des »Zentrums für experimentelle Gesellschaftsgestaltung« (ZEGG). ZEGG ist eine Sekte die auf einem 15 Hektar großen Gelände in der ehemaligen DDR durch »freie Liebe« »im Sinne eines morphgenetischen Feldes planetarisch wirken« will. Aus ihrem Umfeld heraus wurden Kinder vergewaltigt. (Quelle: Emma Sept. / Okt. ’93) ↩︎
  5. Quelle Interim Nr. 271 ↩︎