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Stellungnahme von Berliner Männern zum Mißbrauch-Kongreß

Das Verschweigen sexueller Gewalt ist der Boden, auf dem sie gedeiht.
Wir sind Männer. die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sind. Missbrauch von Vätern. Stiefvätern und anderen Verwandten, auch von Frauen. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis wir im Alter von 30 oder sogar 40 Jahren gespürt haben, was da früher mit uns passiert ist. Bei manchen von uns kam die schreckliche Erkenntnis jäh, fast schlagartig – bei anderen war es ein allmähliches Erahnen und Herantasten. Gemeinsam ist uns allen aber, dass sich unsere Leben dadurch völlig verändert haben.
Nach dem ersten Schock den lähmenden Schmerzen und dem oft abgrundtiefen Einsamkeitsgefühl, aber auch immer wieder auftauchenden Selbstzweifeln »was denn da wirklich war«, machten wir uns auf den Weg der Selbstheilung. Jeder unterschiedlich schnell, jeder unterschiedlich intensiv. Das hieß u.a., die eigene Lebensgeschichte aus den vorgefundenen Erinnerungssplittern und den bisher unterdrückten Gefühlen neu zusammenzusetzen und neu zu werten. Immer wieder tauchten Schmerz und Wut darüber auf, um einen Großteil unseres Lebens betrogen worden zu sein. Die Familie war kein Ort der Liebe und des Vertrauens gewesen – eher ein Ort des Horrors.
Bei uns allen gab es damals keinen Menschen in unserer Nähe, der/die unsere Not erkannt oder unsere Hilfssignale wahrgenommen hätte. So schlossen wir das schreckliche Geheimnis tief ein und trugen es bis vor wenigen Jahren wie ein nicht entdecktes seelisches Krebsgeschwür in uns.

Dass wir uns erst nach so vielen Jahren der Verdrängung schließlich doch erinnern konnten, ist sicherlich kein Zufall. Heute ist die Tatsache des sexuellen Missbrauchs an Mädchen und Jungen kein Tabuthema mehr. Es gibt – leider noch lange nicht genug – Einrichtungen wie z.B. »Wildwasser«, an die sich Betroffene wenden können. Der gemeinsame Erfahrungsaustausch von durch sexuellen Missbrauch betroffenen Männern steckt erst in den Anfängen. Doch gibt es immerhin eine zunehmende öffentliche Sensibilität für das Thema. In einer solchen Atmosphäre fällt es bei weitem leichter, sich der eigenen Erlebnisse bewusst zu werden – und sich sogar anderen (Betroffenen; Freundinnen; professionellen Helferlnnen) mitzuteilen. Und das war auch für uns eine wichtige Vorraussetzung für unseren Heilungsprozess: Die Verschwörung des Ver-Schweigens zu durchbrechen. Schauen wir auf unser Leben zurück müssen wir allerdings auch immer wieder feststellen. dass wir nicht nur Opfer waren, sondern auch allzuoft selber Täter wurden: so heißt Heilungsprozess für uns, sich sowohl mit uns als Opfer als auch als Täter auseinanderzusetzen.

»Verschwörung des Ver-Schweigens« in der öffentlichen Debatte über sexuellen Missbrauch durchzusetzen. Die bekannten Tatsachen sexueller Gewalt sollen wieder geleugnet und banalisiert werden. Dieser Kongress ist ein Teil davon. Unter dem Deckmantel »wissenschaftlicher Evaluation« geht es um nichts anderes, als uns Betroffenen wieder einmal zu sagen, wir seien nur »hysterisch« oder würden uns von schlechten Beraterinnen (Wildwasser) den Missbrauch einreden lassen.
Mit genau diesen »Argumenten« trat der Leiter dieses Kongresses, R. Wolff, vor kurzem in der Fernseh-Talkshow »Alex« auf. Als eine Frau aus dem Publikum über die sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit sprach, verstieg sich Wolff sogar dazu, ihr ein »typisches Wahnsystem« zu attestieren. Wir meinen, R. Wolffs offensichtliche Arroganz und völlige Gefühllosigkeit gegenüber einer Betroffenen disqualifizieren ihn schon allein, zum Thema sexuellen Missbrauchs ernstgenommen zu werden. Unterstützt wird Wolff von Katharina Rutschky, die als Autorin des Buches »Erregte Aufklärung« seit Monaten keine Talkshow auslässt, die sexuelle Gewalt gegen Kinder zu verharmlosen, aus der Welt zu schaffen.
Wir wissen, die Angriffe von Wolff & Rutschky richten sich hauptsächlich gegen die Arbeit der »Wildwasser«-Projekte: am liebsten möchten sie diese aufgelöst sehen. Wir spüren aber auch, dass sie mit ihren Thesen uns alle angreifen, die sich mit ihrer eigenen Missbrauchserfahrung auseinandersetzen: Sie wollen uns verunsichern, einschüchtern, mundtot machen! Wolfi und Rutschky versuchen, wieder die Decke des Verschweigens über die Tatsache des sexuellen Missbrauchs zu werfen. So schützen sie die Täter, stellen sich damit auf deren Seite.
Mit ihnen kann es für uns keine Diskussion geben – der Kongress sollte besser nicht stattfinden!
(P.S.: Wir wollen mit diesem Text auch andere Männer ermutigen, sich mit ihrer möglicherweise eigenen Erfahrung von sexuellem Missbrauch auseinanderzusetzen. Sich dagegen hart machen (»männlich« werden), es weiter in sich hineinzufressen oder die eigene erfahrene Gewalt zur »Kompensation« an anderen auszulassen befreit uns nie von den Schmerzen und Verletzungen! Wendet euch z.B. an eine Stelle wie das Männerprojekt »Manege« – über sie kann evtl. eine Selbsthilfegruppe aufgebaut werden oder aber mit dem Thema vertraute Therapeutinnen empfohlen werden.)