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Sexuelle Zwangsmoral und »neue« Moral

Der Anstoß für dieses Thema war für uns ein Referat über Wilhelm Reichs »Massenpsychologie des Faschismus«, in dem es um den Zusammenhang von bürgerlicher Moral, Charakterstrukturen und gesellschaftlichen Entwicklungen hin zum Faschismus ging.
Wir fragten uns sehr schnell ob bürgerliche Moralvorstellungen, .die die Sexualität von Frauen und Männern kanalisieren, zurechtstutzen, deformieren und unterdrücken heute noch und auch unsere Gefühls- und Gedankenwelt mitprägen.
Eine Definition was diese, von W. Reich sog. »sexuelle Zwangsmoral« ausmacht, haben wir nicht gefunden.
Wir haben sie an Beispielen umschrieben:
Vorstellungen, daß »Sexualität« etwas »niedriges«, »dreckiges« sei, von dem »man« nicht spricht. Wenn, dann dient Sexualität der Fortpflanzung und sollte nur in der Ehe vor sich gehen. Auch zärtliche Körperlichkeit gehört, nach diesem Denken, nicht unbedingt in die Öffentlichkeit.
Soweit einige Stereotypen, die diejenigen von uns, die in kleinbürgerlichen, christlich geprägten Familien aufgewachsen sind, am krassesten mitbekommen haben. Zu diesem Komplex gehört sicher noch: männliche Doppelmoral. Romantische Liebesvorstellungen, »Verteufelungen« der Homosexualität. Wie gesagt, wir haben nicht genau herausgearbeitet was »Moral« eigentlich ausmacht.
Hier ein kleiner Versuch. Moral besteht aus Vorstellungen, wie Menschen sich anderen gegenüber verhalten sollten. Sie sind ein Raster von Wertvorstellungen, das in »gut« und »böse« eingeteilt ist. Kleinbürgerliche Moral beruft sich dabei auf religiöse Dogmen, die, wie das Wort schon sagt, nicht mehr hinterfragt werden dürfen. Moral wirkt als Instanz im Bewusstsein von Menschen!
Aber, fragten wir uns, gibt es nicht auch für uns eine Moral bzw. »ethische« Vorstellungen? Uns geht es ja auch allgemein um:
Gleiche Möglichkeiten und Rechte von Frauen und Männern auf dieser Welt um soziale Gerechtigkeit. Einige von uns haben sogar rigide moralische Grundsätze: Kein Fleisch essen, oder strickte Konsumverweigerung.
Und auch im Umgang zwischen Frauen und Männern in der »Szene« gibt es oft unausgesprochene Vorstellungen mit moralischem Charakter. Etwas überspitzt: Frauen kann »mann« im herrschenden gesellschaftlichen Kontext nicht einfach ansprechen, oder eigentlich können »wir« gar keine Heterosexualität leben solange es ein grundsätzliches Gewalltverhältnis zwischen Männern und Frauen gibt.
Wir woIIten auch diese Vorstellungen nicht einfach so stehenlassen. Wir fragten uns, ob diese wirklich aus einer Auseinandersetzung mit Frauen bzw. feministischen Forderungen entstanden sind. Oder, ob sich diese Moral aus Abgrenzung zu Mackerverhalten unreflektiert in uns gebildet hat. So kamen wir auf die heikle Frage welche Tabus wir eigentlich im Bereich der Sexualität haben?
Vorne weg, dies ist natürlich eine sehr persönliche Frage. Es zeigte sich aber schnell, daß wir eher über Dinge um die Sexualität »herum« reden wollten:
Kennenlernen, »’Anmachen«, Beziehungen. Es ist natürlich sehr schwer, und vielleicht auch nicht angebracht, die oft sehr persönlichen und mit vielen Gefühlen verbundenen Aussagen wiederzugeben. Was im Folgenden also geschieht ist Statements in allgemeine Richtungen mit ähnlicher inhaltlicher Tendenz zusammenzufassen.
Einige haben die These vertreten, daß sie sich gerade in unseren »Szene« zusammenhängen in einem Rahmen von Verboten und Verhaltensnormen wiederfinden, das sie an ihre kleinbürgerliche Vergangenheit erinnert.
In den Volxküchen, Parties oder Treffen ist oft eine verkrampfte Stimmung. Sowohl zwischen Männern und Männern, als auch zwischen Männern und Frauen.
Es gibt w’enig Flirts, Schäker oder ähnliches. Die Stimmung ist unerotisch. (In der folgenden Diskussion hat uns vor allem das Verhältnis von Männern und Frauen interessiert, siehe dazu auch den letzten Absatz).
Dies hat bestimmt mehrere Gründe: Zum einen gewisse Ängste, Verklemmtheit, »Macken«. Also Charakterstrukturen. mit denen einige von uns sich schon lange herumquälen und die sie sich auf ihre persöhnliche Biographie und Erziehung zurückführen.
Zum anderen das schon fast verinnerlichte Denken, daß es für Frauen grundsätzlich unangenehm ist, von Männem angesprochen zu werden.
Dies hat vor dem Hintergrund der alltäglichen Anmache von Männern gegenüber Frauen in der Öffentlichkeit natürlich seine Berechtigung.
Schaut man/frau aber auf die grundsätzlichen »Macken« von einigen Männern, scheint es, als ob die »antipatriarchale« Umgangsweise eine Art Entschuldigung ist, um die eigene Verklemmtheit zu legitimieren. Eine harte Vermutung, aber es scheint zumindest so zu sein, daß sich beides mischt. Das macht die Sache kompliziert. Ein mann sprach davon, daß zu seinem »bürgerlichen« Über-Ich ein antipatriarchalcs Über-Ich hinzugekommen sei.
Das klingt jetzt so, als wollten sich Männer hier wieder zu Opfern machen – wenn aber Verhalten, wie es scheint von verinnerlichten Instanzen gesteuert wird, ist eine Auseinandersetzung damit dringend angesagt.
Ein weiterer schwieriger Themenkomplex war Sex/Sinnlichkeit »für eine Nacht« bzw. nicht verbunden mit »Liebe«.
Einige Männer berichteten von ihren Situationen in ihrem Leben, wo sie mit Frauen Sexualität gelebt haben und dabei die körperliche Lust im Vordergrund war. Es gab zwar auch eine emotionale Grundlage, aber »Geilheit« war in diesem Moment sehr im Vordergrund. Die momentane Situation oder die Beziehungssituation war nicht so sehr von »Liebe«, »tiefer Verbundenheit« oder »totaler Nähe« bestimmt.
Und doch waren es wohl für beide Personen sehr schöne Erlebnisse.
Sexuelles Erleben, erzählen diese Männer, sei für sie nicht immer gleich, manchmal ist es sehr warm, nah und innerlich, manchmal ist es sehr lustbetont und am schönsten ist es wenn von beiden Anteilen gleich viel dabei ist. Wenn sich beide Sexualität Lebenden sich mitteilen können, welche Empfindungen sie haben, was sie wollen, ist das ehrlicher als sich die große »Liebe« vorzumachen.
Andere Männer konnten dies für sich nicht nachvollziehen, sie sagten für sich, sie könnten Sexualität nur in einer Liebesbeziehung und im Zusammenspiel mit »Liebe« leben, alles andere sei für sie oberflächlich.
Dies könnte ja nun alles Sache von persönlichen Vorlieben sein, würden wir uns nicht in einem Spannungsfeld von gesellschaftlichen Realitäten und gesellschaftlichen ldealbildern, die wir im Kopf haben, bewegen. Auf der einen Seite gibt es normierte Bilder von männlicher Sexualität, vom »maschinenhaften Abspritzer« und andererseits die Vorstellung, in denen Sexualität mit großer Vertrautheit und »Liebe« verbunden ist.
Das erste ist schlichtweg männliche Herrschaft, die viel mit Gewalt, Aneignung von Frauen zu tun hat, wie sie in Pornos einen frauenverachtenden Ausdruck findet.
Dies lehnen wir ab, auch wenn wii sicherlich nicht immer frei davon sind.
Die zweite Vorstellung ist ein Idealbild, das viele von uns haben, wonach sich auch viele sehnen. Dies wird aber so, oder so ähnlich auch von Konservativen oder christlichen Frauen und Männern vertreten.

Dies lässt wenig Platz für Sexualität/Sinnlichkeit außerhalb fester Liebesbeziehungen. Vielleicht gerät, wer zugleich Sexualität außerhalb fester Beziehungen und aber auch keine »Macker«-Sexualität leben will, öfter mal in Situationen, wo er eine Frau zum Objekt macht (oder vielleicht auch mal umgekehrt selbst zum Objekt gemacht wird), weil die Situation der Begegnung nicht definiert ist und die Sexualität Lebenden sich nicht gut kennen. Wer dies ausprobiert, dem kann es aber auch passieren, daß es von Frauen/Lesben oder Männern das Stigma eines bekommt, der nicht in klaren Beziehungen lebt oder ständig Frauen anmacht. Und hier schlägt unsere Moral zu und sie schlägt erst recht dann zu, wenn jemand der so lebt oder leben möchte, nur glaubt, er bekomme dieses Stigma. Es macht Moral ja gerade aus, daß sie im Bewußtsein von jemandem verankert ist.
Hier ist der Punkt, wo viele diese Moral in Frage stellten. Ein verinnerlichtes Verhalten, das von »höheren« Instanzen bestimmt wird, nützt niemandem. Es sagt noch nicht aus, ob Männer sich wirklich mit ihrem Bild, das sie von Frauen haben, auseinandergesetzt haben. Können sie wirklich Frauen als Subjekte wahrnehmen oder haben sie ihre alten Objektwahrnehmungen nur »verdeckt«. Deshalb wäre eine Auseinandersetzung angesagt die sich unter Männern und auch mit Frauen mit denen wir täglich zu tun haben.
Unterdrückung und Kanalisierung ist ist schließlich ein jahrhundertelanger Pfeiler des Patriarchats gewesen.
Andere Männer argumentieren, wir brauchen gewisse »Sicherheiten« in der Szene. In einer Gesellschaft, in der Sexualität so oft mit Entfremdung und Gewalt verknüpft ist wären die Spielräume für Sexualität und Sinnlichkeit begrenzt. Misstrauen von Frauen sei berechtigt, Kontrolle durch Frauen/Lesben und auch von Männern mit Anspruch sei gerechtfertigt. Dies führt zu einer verinnerlichten Selbstkontrolle, die sein muss.
Soweit die Diskussion in unserer Gruppe, zu Alternativen oder mehr Abwägungen oder Differenzierungen sind wir nicht gekommen. Es ist uns auch klar, daß die Widersprüche erstmal so bleiben, weil es nicht so schnell geht die patriarchale Kultur zu überwinden. Ein weiteres moralisches Tabu in unserer Gruppe scheint Homosexualität zu sein. Sie tauchte in unserer Diskussion nur selten auf. Natürlich wurde sie am meisten von unserem damals einzigsten Schwulen in der Gruppe zur Sprache gebracht. Da Sexualität von Männcrn zu Männern und Männern zu Frauen wegen der unterschiedlichen Stellung von Mann und Frau in der Gesellschaft differenziert zu diskutieren sind, ließen wir die Sinnlichkeit und Erotik zwischen Männern mal wieder außen vor. Sicher auch wegen Ängsten und Unsicherheiten. Der schwule Mann hat inzwischen die Gruppe verlassen.
Was bleibt ist der Wunsch nach ehrlichen, fairen Beziehungen.
Unsere Gegner (in uns) scheinen sehr mächtig zu sein.
Weichen wir sie auf.
Libertäre Männergruppe Bremen