Ein Bericht von den Libertären Tagen ’93 in Frankfurt
1. Friede, Freude, Eierkuchen?
Zwischen 2000 und 3000 Menschen nahmen an den Libertären Tagen mit ihren knapp 30 Arbeitsgruppen teil. Davon kamen schätzungsweise zwei Drittel aus dem autonomen Spektrum, der Rest setzte sich zusammen aus den (veranstaltenden) organisierten Anarchistlnnen, Gewaltfreien, Punx, Aussteigerlnnen, Leuten aus Landkommunen, Alt-Hippies und jungen unorganisierten Rebellinnen aus Kleinstädten oder vom Land. Die libertäre Buchmesse und das kulturelle Beiprogramm mit Filmen, Konzerten, Theater, Performance und Festen lockerte den vorzüglich organisierten Kongress auf. Schade, dass in mindestens zwei Arbeitsgruppen die Anarchistlnnen, die diese vorbereitet hatten, gleich zu Beginn der Referate meinten, sich von den Autonomen abgrenzen zu müssen. Bei der AG Antifa ging das gründlich in die Hose: Erst das Scheitern der Autonomen Antifa zu konstatieren, um dann ein eigenes Konzept für antifaschistische Arbeit aus dem Hut zu zaubern, das bis ins Detail dem der Autonomen Antifa gleicht, war schon sehr peinlich.
Die wahrhaft libertäre Haltung wurde auf dem Innenhof der Uni vorgelebt: Überall saßen, lagen, spielten, schliefen die Leute in der Sonne, Jongleurlnnen, Frisbees, (friedlich) spielende Hunde, Friede-Freude-Eierkuchen und alles so schön bunt hier. Trotzdem hatte (nicht nur) ich das Gefühl, dass der Schein trog – es lag was in der Luft …
2. Die Demonstration
Die Demo am zweiten Tag sollte die Inhalte des Kongresses auch auf die Straße tragen. Zu diesem Zweck stand kreativen Menschen jede Menge Material für Transparente zur Verfügung.
Aber mit den Inhalten war’s nicht so weit her: Einige Banken und Versicherungen wurden gelüftet oder mit Leuchtspur beschossen, die wenigen Bullen (aber mit Wasserwerfern) in den Seitenstraßen von einigen Männern mit affigem Mackergehabe und Fuck-Fingern bedacht, bei den Parolen war das Highlight »Weiter, weiter, Weiterstadt«, »Wir, wir, wir sind die Guten« war wenigstens noch witzig ebenso wie die altehrwürdige Parole »Wir sind die wilden Horden, wir plündern und wir morden, wir waschen uns nie – Anarchie!«, aber der größten Beliebtheit erfreute sich die Dämlichste »Wir sind die Terroristen und grüßen die Touristen«, selbst wenn weit und breit kein Tourist zu sehen war. Bezeichnend war auch, dass die Kundgebung am Römer ohne Redebeiträge auskam und nur aus dem Auftritt einer ziemlich miesen Band und (wegen Ostern) einem satirischen Vater-unser (»Anarchie unser auf Erden … «) bestand. Ja, wo waren sie denn, die Inhalte? Sie lagen noch in der Luft …
3. Die herrschaftskritischen Männer
Die Arbeitsgruppe »Herrschaftskritische Männer und das Patriarchat« war meines Wissens mit ca. 300 Teilnehmern die bestbesuchte auf den Libertären Tagen. Sie lag wohl auch in der Luft.
Sehr interessant fand ich die Städteberichte der seit längerem kontinuierlich arbeitenden Männerzusammenhänge. Es wird Zeit, dass es auch in Nürnberg ein Männercafé gibt. Das scheint der Trend zu sein: Die weitaus meisten Männerzusammenhänge arbeiten in dieser Form mit/in der Szene. Dann wurden die folgenden Unterarbeitsgruppen gebildet:
Profeministisches Männerarchiv/ profeministischer Männerrundbrief
– Sexistisches Verhalten im Alltag
– Strategien gegen das Patriarchat (und Vernetzung)
– Männeridentität (I und II)
– Sexismus in der Antifa
– Antisexistische Strategien (Wurde nochmals unterteilt in »Arbeit innerhalb der Linken« und »Der Mann auf der Straße«)
Die herrschaftskritischen Männer waren in den Unterarbeitsgruppen gerade miteinander warm geworden, da wurden die Diskussionen unterbrochen. Es sprach sich herum, dass wegen der sog. »Aktuellen Vorkommnisse« ein Frauenplenum im Gange und ein Männerplenum nötig sei. Was bis da vage in der Luft lag, war manifest geworden. Selbst für uns herrschaftskritische Männer war die Verlogenheit der »Wir-lieben-uns-alle«-Stimmung auf den Libertären Tagen unübersehbar geworden.
4. Die »aktuellen Vorkommnisse« werden diskutiert
Die wiederholten sexistischen Angriffe eines Obdachlosen hatten das Fass zum Überlaufen gebracht. Die meisten Männer hatten nach Aufforderung die Arbeitsgruppe »Frauengeschichte«
sofort verlassen. Eine Handvoll hatte noch diskutiert (schlimm genug!), bevor sie gingen, dieser Typ hätte handgreiflich rausgeschmissen werden müssen. Danach pöbelte er weiterhin Frauen an, die Männer drumrum glänzten durch Nichtverhalten. Schließlich wurde er vom Schutz und einigen Frauen vom Universitätsgelände entfernt. Dabei gab es »Stalinismus«-Vorwürfe von Umstehenden, Anderen genügte die Begründung nicht, der Typ hätte Frauen angemacht.
Dieses Nichtverhalten der Männer bzw. das aktive Eintreten von Männern gegen Frauenautonomie auf dem Kongress hätte auch das Thema auf dem Männerplenum sein müssen. Wer von uns kennt nicht die Unsicherheiten in konkreten Situationen, ob wir eingreifen sollen oder »die Frauen das schon schaffen«? Wo ist die Grenze zwischen angemessener Zurückhaltung und Passivität als Männersolidarität? Aber die zwei Dutzend Vertreter der Avantgarde des Arschlochariats zogen alle Register, um so eine Diskussion zu verhindern. Um nicht über Männergewalt gegen Frauen reden zu müssen, wurden haufenweise Nebenkriegsschauplätze eröffnet: Alkoholverbot als Allheilmittel gegen »Aggressionen« – »War das wirklich so? Wie war das jetzt genau?« – »Das gewaltsame Entfernen von Menschen widerspricht unserem Prinzip von Gewaltfreiheit« – »Die Probleme von Obdachlosen in der Frankfurter Uni in den letzten Jahren … « usw. usw. Verdrehungen: Der ( die Frauen unterstützende) Schutz sei mackerhaft aufgetreten. Und der Hammer: Reine Frauenveranstaltungen seien Apartheid! Und die Angst vor Frauen-Gegenmacht: Dann könnte ja jeder Mann auf eine Behauptung einer Frau hin vom Campus geprügelt werden …
Kurzum: Dieses Männerplenum war zum Kotzen, zum Heimfahren, ein Armutszeugnis, als wenn es niemals eine Diskussion ums Patriarchat gegeben hätte.
5. »Wir sind Frauen, wir sind viele, wir haben die Schnauze voll!«
Das am Abend stattfindende Fest wurde kurz nach Beginn unterbrochen. Eine Horde von Frauen zog parolenrufend in die Räume ein und unterbrach die Live-Musik, um eine Erklärung zu verlesen. Sie hätten ihre Schwierigkeiten mit dem Mackerverhalten in gemischten Zusammenhängen für die Dauer der Libertären Tage zurückstellen wollen, um gemeinsam über Perspektiven einer herrschaftsfreien Gesellschaft zu diskutieren. Dies hätte sich aber als unmöglich herausgestellt. Es folgte eine ellenlange Liste von sexistischen Verhaltensweisen der Kongressteilnehmer: Der FrauenLesbenblock auf der Demo war ständig angepöbelt worden, aggressives Spannen im Frauenschlafsaal, ständige Provokationen am Büchertisch eines Frauenverlags, ständige Anmache auf dem Campus und und und … Sie würden die Musik auf dem Fest jetzt für eine halbe Stunde unterbrechen, um den Männern Gelegenheit zu geben, überall diese Vorkommnisse nachzudenken. Nach meinem Eindruck war die Aktion der Frauen ein Erfolg; Nicht nur während der halben Stunde war unser Mackerverhalten das Thema, das an allen Ecken und Enden leidenschaftlich diskutiert wurde. Vor allem bei den jungen Männern vom Land, die vielleicht ein autonomes Blättchen abonniert haben und so schon mal was vom Patriarchat gehört haben, hatte die Aktion gut eingeschlagen und wurde bis zum Morgengrauen diskutiert: »Ist dann meine schwarze Lederjacke auch mackerhaft?« Die Avantgarde des Arschlochariats traute sich nicht mehr aus den Löchern.
6. Nur offene Fragen
Am nächsten Tag fand nochmal ein Männerplenum statt. Dort wurden von zwei Unterarbeitsgruppen der Männer-AG Vorschläge zu einer Erklärung fürs Abschlussplenum eingebracht, die jeweils als Konsequenz aus den Vorkommnissen forderten, die nächsten Libertären Tage müssten die Arbeitsgruppen jeweils für Männer und Frauen anbieten, damit die Frauen frei von Anmache arbeiten könnten. Ob von dieser Grundlage aus dann wieder eine gemischte Zusammenarbeit möglich werde, müsse sich ergeben. Dies war auch (mehr oder weniger) Konsens, aber die Erklärungen wurden nicht als solche verabschiedet, weil sie den Verlauf der Tage zu sehr geschönt hätten a la »Wir sind die guten Männer und haben es geschnallt.«
Aus demselben Grund wurden auch vom Abschlussplenum der Männer-AG nur offene Fragen formuliert, auf die die Unterarbeitsgruppen gestoßen waren wie z.B.: »Gibt es ein eigenes Interesse von uns Männern an einem Kampf gegen das Patriarchat und worin besteht es?« – »Was ist patriarchalisch geprägt am Verhalten von uns Männern auch gegenüber Männern?« – »Was hat eine Hasskappe mit Männergewalt zu tun?« – »Ist eine revolutionäre Organisierung (zur Zeit) gemischt möglich?« Diese und weitere Fragen sollen demnächst auf Männertagen diskutiert werden. Ein weiteres konkretes Arbeitsergebnis war die Einrichtung vom Profeministischem Männer-Medien-Archiv und Männerrundbrief. Männerzusammenhänge werden aufgerufen, ihre Artikel, Flugies, Aktionsberichte usw. zu schicken an: Profeministisches Männer-Medien-Archiv, c/o Schwarzmarkt, Kleiner Schäferkamp 46,20357 Hamburg.
(Auja! d.S.)
Während Frauen tagtäglich und ständig mit Männergewalt auf allen Ebenen konfrontiert sind, liegt für Männer, die an grundsätzlichen Veränderungen arbeiten, die Thematisierung des Patriarchats irgendwie in der Luft. Holen wir sie auf den Boden! Füllen wir sie mit Leben! Bringen wir die unerträglichen Zustände im imperialistischen Patriarchat zum Tanzen!!!
A.