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Bundesweites Männertreffen Nürnberg

Bericht vom Männergruppentreffen vom 14.-16.1.94 in Nürnberg

Das drumrum:
Ca. 70 Männer aus 15 Männergruppen waren da und die Stimmung und das Umgehen miteinander war unverkrampft und gut. Grad auch die Gespräche, die neben den AG’s abliefen haben Spaß gemacht und machen Lust auf ein neues Treffen. Es wurde viel gelacht. Besonders als die Tischtennisplatte zerbrach, oder Samstag Abend bei der Männerparty, wo die Band es schaffte 4 Stunden Stimmung zu machen. (Die T-Shirt Versteigerung allerdings war großer Schummel!!!)
Freitagabend nach dem Essen und Samstag Vormittag stellten sich die einzelnen Gruppen vor. Es war keine Gruppe aus dem Osten und auch keine Schwulengruppe anwesend. Überhaupt schien das Verhältnis von einigen Männern, Schwulen gegenüber, von Unsicherheit und Fremdheit bestimmt zu sein. Mehrere Gruppen berichteten, dass Schwule aus ihren Zusammenhängen ausgestiegen sind.
Samstag Nachmittag und Sonntag früh liefen dann die AG’s.
Beim Abschlussplenum Sonntag Nachmittag ging es nochmal ziemlich chaotisch zu. Die Diskussion über ein weiteres Treffen wurde mit der Diskussion über ein bundesweites offenes Männertreffen zusammengeworfen. Als dann noch vom geplanten Autonomen Kongress in Berlin berichtet wurde war es ganz und gar unmöglich irgendwelche Entscheidungen zu treffen.
Trotzdem schien den meisten, auch uns, das Treffen gut gefallen zu haben (schade, dass es dazu keine Runde gab) und das Interesse an weiteren Männergruppentreffen ist wohl vorhanden. (Ist aber noch nichts geplant.)
Vor den Zusammenfassungen aus den AG’s, noch ein dickes Lob an die Seppls für die gute Organisation.

AG 1: Faschismus und Patriarchat Männlichkeit

Eine inhaltliche Vorbereitung gab es durch die Gruppen aus Berlin. Bremen und Bielefeld. Mann sollte die Texte: »Neofaschismus und Männlichkeit: Arsch auf Eimer« und »Die Bande (r)echter Männlichkeit« gelesen haben. Davon ausgehend, dass die Texte soweit bekannt sind und dass sich alle vorbereitet hatten, gab es eine Runde zu Erwartungen und Wünschen zu dieser AG an diesem Wochenende.

In der Runde ist dann die erste reale Differenz offen geworden. Die Differenz liegt in der theoretischen Aufarbeitung von Geschichte und Faschismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen und in der Frage nach praktischen Ansätzen/Möglichkeiten heute im Zurück- und Zerschlagen von faschistischen/rassistischen Strukturen/Gruppen etc. Die Differenz ist, dass es einzelne (Gruppen) gibt die inhaltlich oder praktisch arbeiten und dass die Ergebnisse selten zusammengebracht werden. Die Runde beinhaltete weiterhin eine kurze Vorstellung der einzelnen Gruppen. wo konkret auf Defizite aufmerksam gemacht wurde; inhaltlicher wie praktischer wie patriarchaler Art. Der Wunsch war dann auch, über Mackerstrukturen von Männern in Antifa-Zusammenhängen reden zu wollen: was mit der Begründung, dass es erstmal darum geht inhaltlich zu einem Fundament zu kommen, zeitlich nach hinten verschoben wurde.

Ab hier begann dann die Arbeit an den Texten, die sich alle inhaltlich mit der Frage nach dem Zusammenhang von Faschismus und Patriarchat beschäftigen. Hier wurde deutlich, an welchen Schwerpunkten sich die Gruppen inhaltlich vorbereitet hatten. Grundlage für die Ausarbeitung des Zusammenhangs waren die Bücher von Theweleit Männerphantasien, genauso wie der Versuch einer Strukturanalyse von Faschismus/Patriarchat an Fragen wie: Welche Staatsform wählt der Faschismus? Was muss in der bürgerlichen Gesellschaft transformiert werden, damit sie zur faschistischen wird? Besteht ein Automatismus in der Entwicklung vom Feudalen zum Bürgerlichen zum Faschistischen? Ist der Faschismus eine Gesellschaftsform innerhalb des Patriarchats? Warum? Wo sind die Gemeinsamkeiten zur bürgerlichen Gesellschaft? Wie sieht die männliche Sozialisation/Konditionierung in beiden Gesellschaften aus? Was macht die Faszination der Männer am Faschismus aus und wie kommen sie zu dieser Faszination??

Hier war und ist Grundlage, dass alles, was mit Faschismus und Neofaschismus in Zusammenhang steht, zum entscheidenden Teil von Männern aufgebaut, getragen und forciert/toleriert wird und wurde. Die Antwort auf die aufgeworfenen Fragen sind am Anfang ausschließlich (d.h. in Konkurrenz) diskutiert worden, d.h. dass jede Gruppe davon ausging, dass ihr Inhalt der Inhalt ist, anstatt sich aufeinander zu beziehen. Das führte auch zu Missverständnissen, die nach einer dafür angesetzten Pause geklärt werden konnten.

Ein inhaltlicher Punkt, der immer wieder nebenbei mitdiskutiert wurde, war die theoretisch abstrakte Frage danach, ob es sowas wie faschistische Subjektivität geben kann? Hier gibt es unterschiedliche Antworten mit ihren Konsequenzen. Von einer Analyse ausgehend, was dem Faschismus innewohnend ist, kann er kein Subjekt möglich machen oder zulassen, auch unabhängig davon, ob wir von einer »humanistischen« oder materiellen Argumentation ausgehen, da die Ideologie der Volksgemeinschaft den/die Einzelnein negiert, da er/sie immer nur in Bezug auf die Volksgemeinschaft gesehen wird/werden kann. Die Antwort auf die Frage: Wer/welche oder was das/die oder der Subjekt ist, blieb offen, da wieder je nach Weltanschauung argumentiert wurde. Genauer wurde die Frage nach Identität/Männeridentität in der bürgerlichen Gesellschaft diskutiert, wo die abschließende Aussage (für das Wochenende) die war, dass das klare, sichere, ganzheitliche »Ich-ohne-Risse«-Bild, das Widersprüche des bürgerlichen Patriarchats zukittet/tabuisiert, Voraussetzung ist, um eine Vereinheitlichung des Wahrnehmens zu produzieren und aufrecht zu erhalten, was wiederum Voraussetzung ist, um eine Volksgemeinschaft zu produzieren und zu installieren. Davon abgespalten werden die, die nicht nach diesem Prinzip/ Wahrnehmung funktionieren und die dann zu den »Anderen« etc. erklärt werden. Die Anderen sind dann die, die allem, was im Patriarchat gewollt ist, wie Kontrolle, Ausbeutung, Vernichtung etc. unterworfen werden dürfen/ sollen/müssen. Dieses Bild der Männeridentität widerspricht der realen sozialen Wirklichkeit, ist somit patriarchale Ideologie, die zur faschistischen werden kann. Ein Fundament patriarchalen Funktionierens wurde in der Diskussion herausgearbeitet, aber nur sehr kurz betrachtet: die Aufspaltung von Leben und was dazugehört in DICHOTOMIEN (in 2er-Gegnsätze) wie z.B.: wir – die anderen; Freund – Feind; Mann – Frau; wahr – falsch; Kind – erwachsen; Gewinner – Verlierer; gut – böse; Opfer – Täter; funktioniert – funktioniert nicht; etc. usw.

AG 2: Nationalismus, Männergewalt, Militarismus

Zur AG gab es einen Vorbereitungstext (»Die Bereitschaft zum Krieg, ist die Bedingung für den eigenen Frieden« Männerrundbrief Nr. 2) aus Dortmund. Dort wurde die These aufgestellt, dass sich die BRD momentan in einem Prozess der Militarisierung befindet, der die gesellschaftlichen Werte nach innen neu patriarchal definiert. Diese Werteverschiebung nach innen ist Ziel der Militarisierung, von der auch »Linke Männer« profitieren.
Nach einer Vorstellungsrunde, wurden verschiedene Punkte am Text kritisiert, bzw. von den Schreibern erläutert. Eine offene Frage war, ob dem Militär bei dieser These nicht eine zu große Bedeutung zugemessen würde. Ein anderer Punkt, an dem die Vorstellungen am ersten Tag auseinandergingen, war die Frage, ob Entwicklungen, wie zum Beispiel die Militarisierung, unter rein männerspezifischen Ansätzen betrachtet werden können. Eine Position war, dass dies die Voraussetzung ist, um einen neuen Blickwinkel zu erreichen, und sich dieser aufgrund der antikapitalistischen Erklärungstradition ansonsten nicht entwickeln könne. Die Gegenposition stellte fest, dass der Fehler einer eindimensionalen Betrachtungsweise von Herrschaftsverhältnissen schon viel zu lange gemacht worden sei, und sich eine Analyse vielmehr um die gleichwertige Einbeziehung von Herrschaftsverhältnissen bemühen müsse.
Nachdem am 1. Tag »abgeklopft« wurde, wo die einzelnen stehen, verlief die Diskussion am zweiten Tag wesentlich angenehmer. Alle konnten sich auf einen männerspezifischen Blick einlassen, woran sich letztlich auch einige interessante Fragen entwickeln konnten. Eine Überlegung war z.B., inwieweit die gegenwärtige linke Krise, unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten betrachtet werden müsse, da ein patriarchaler Rollback eine wichtige Ursache dessen sei. Irgendwann war’s dann auch plötzlich schon vorbei und wir gingen zum Abschlussplenum. Das hätt n anderer jetzt aber sicher gaaaannnz anders geschrieben. Wetten???

AG 3 : sexuelle Zwangsmoral und neue Moral

Zum Einstieg gab es einen kurzen Sketch, in dem ein Mann dargestellt wurde, der auf einer Party nicht weiß, ob und wie er eine Frau ansprechen soll. Er ist hin- und hergerissen zwischen seinem »Impuls«, sie einfach anzusprechen, seiner »neuen« Moral nicht sexistisch zu sein, und seinen (alten) Ängsten vor Ablehnung und Versagen.
Im Anschluss haben wir erstmal Fragen und Aspekte gesammelt, die uns zu dem Thema interessant erschienen (eine Auswahl):
– gibt es politisch korrekten Sex/Anmache
– Sexualität nur mit Liebe , oder wie
– das Ideal von der großen Liebe und was wir dem (nicht) entgegensetzen
– Homosexualität
– lassen sich Veränderungen des Ichs über die Anti-Patriarchats-Diskussion erreichen
– Freiwilligkeit von Veränderungen/Zwang durch Frauen
– Eigeninteresse an Veränderungen finden
– kann Abbau von Macht mit Lust verbunden sein
– wie gehen Lernschritte, wenn Mann öffentlich keine Fehler machen darf/will
– wenn alles 100%ig sein muss, ist das sehr hinderlich für eine Entwicklung. Das führt zu eher strikter Regelbeachtung. Diese Regeln dürfen dann auch kaum hinterfragt werden.
– neue Moral in alter Gesellschaft: wie geht das
– Ethik als übergeordnetes Gebäude von Grundsätzen. Moral als abgeleitete Handlungsanweisungen
– brauchen wir eine Moral, oder reicht es, eine Ethik zu haben
– was ist die aktuelle gesellschaftliche Moral, und ist sie nur schlecht
– wie können wir lernen zu unterscheiden, zwischen (patriarchalem) Taxieren und (erotischer) Wahrnehmung
– sexistische Anmache können erstmal nur Frauen definieren

Weil wir so viele waren, haben wir uns dann in zwei Gruppen geteilt. Eigentlich müsste jetzt ein Bericht folgen, was in den beiden Gruppen geredet wurde. Der fehlt hier aber. Schade eigentlich. Nach der Aufteilung ging’s dann wieder zusammen weiter.
Da wir uns relativ oft am Beispiel von Anmache über Moral unterhalten haben, haben wir am Sonntag geguckt, wo uns die Moral sonst noch begegnet. Über Kommunikation haben wir dann länger gesprochen, wobei die Kommunikation über Sexualität den größten Raum eingenommen hat.
Nach der »alten« Moral ist das Reden über Sexualität ein Tabu. Nach der »neuen« Moral ist es zumindest problematisch, offen zu sein, wenn es um die eigenen Wünsche geht. Das offene Aussprechen setzt voraus, dass sich der/die Gegenüber sich durch diesen Wunsch nicht so unter Druck setzt oder setzten lässt, dass er/sie sich selbst vergisst. Wenn Wünsche nicht ausgesprochen werden, ist es wichtig darauf zu achten, dass sie nicht einfach verdrängt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass wir versuchen sie auf anderen Wegen durchzusetzen.
Sowohl bei der verbalen, als auch bei der nonverbalen Kommunikation besteht die Gefahr von Missverständnissen und die Möglichkeit Druck auszuüben. Egal ob geredet wird, oder nicht: in beiden Fällen geht es um einen Umgang mit Grenzen und Grenzüberschreitungen. Dabei haben wir oft im Kopf, dass jede Grenzüberschreitung zu vermeiden ist. Dadurch wird es jedoch auch fast unmöglich, die Grenzen zu finden. Wo die Grenzen wirklich sind, kann nur durch »Anklopfen« an die Grenze herausgefunden werden. Der Übergang zwischen einem »Anklopfen« und einer Grenzüberschreitung ist dabei oft fließend. Was was ist, ist dabei abhängig von den Menschen, zwischen denen es passiert und der Situation. Von daher kann es da keine Standartmoral geben, die pauschal anwendbar ist. Es muss klar sein, dass gefundene Grenzen akzeptiert werden.
[…] Anhand des Begriffes Funktion sind wir dann auf die Frage gekommen, ob wir in unseren Beziehungen »kapitalistisch« handeln.
Das drückt sich aus in der Sprache, in der wir über Beziehungen reden; z.B. Energie investieren. Es drückt sich auch aus in dem Verständnis, dass es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Geben und Nehmen geben müsse. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass sich solche Denkmuster in dieser Gesellschaft fundamentiert haben, aber wir wollen was anderes. Begriffe wie Bedürfnisbefriedigung oder Bestätigung erfahren lösen den Widerspruch nur scheinbar auf, da die patriarchal verwertende Sicht- und Fühlweise damit nicht überwunden ist.
Bei der Bestätigung , die wir suchen, haben wir festgestellt, dass wir sie meist in Zweierbeziehungen suchen. In den meisten Gruppen wird sich gegenseitig wenig Bestätigung gegeben. Eine Veränderung von Gruppenstrukturen, hin zu einem persönlicherem Umgang ist von daher ein Ansatz, der auch zu einem anderen Umgang mit Zweierbeziehungen führen könnte.
Wünschenswert wäre ein Umgang, der mit den alten Mustern bricht, ohne eine ungefüllte Lücke zu hinterlassen. Dies kann dann dazu führen, dass Männer sich wieder den bürgerlichen Idealen zuwenden.
Es ist also nicht nur eine Frage der individuellen Konditionierung, bzw. des »persönlichen Geschmacks«, ob eine Szene sich rein technisch und oberflächlich zueinander verhält oder ob auch andere Sachen vorkommen (»Das persönliche ist politisch« hieß es doch mal …). Es ist auch eine strukturelle Frage und von daher eine sinnvolle Aufgabe für Männergruppen zu versuchen etwas dahingehend zu verändern.
Wenn solche Bemühungen und Positionen als nebensächlich oder lächerlich abgetan werden, könnten wir versuchen, die Leute an ihren behaupteten Antisexismus zu erinnern und darauf festzunageln. (geändert, gekürzt und dreist ergänzt aus dem Protokoll der AG 3)

AG 4: Sexualität und Herrschaft

Grundlage der AG war ein Reader der Seppls, in dem die Theorien zu Sexualität und Herrschaft von Wilhelm Reich, Michel Focault und anderen diskutiert werden.

Kurz zusammengefasst:
Reich behauptet, es gibt eine »natürliche« Sexualität, die durch gesellschaftliche Verhältnisse unterdrückt und zugerichtet wird und die es zu befreien gilt. Focault hält entgegen, dass Sexualität immer etwas gesellschaftlich Produziertes innerhalb historischer Bedingungen ist. Die »Fühlmöglichkeiten« von Menschen sind nichts natürliches, sondern hängen immer damit zusammen, wie Sexualität gesellschaftlich konstruiert ist. Sexualität wird nicht unterdrückt, sondern als Stützpunkt von Herrschaft benutzt und ausgebaut. So gibt es z.B. an Männer die gesellschaftliche Vorgabe, Macht und Lust zu verknüpfen, Lust an Machtausübung zu entwickeln.

Wichtige Diskussionspunkte in der AG:
– Die Suche nach »wahrem« natürlichem Sex macht eher Stress als Lust.
– Die Einteilung und Abgrenzung verschiedener Sexualitätsformen ist ein Mittel der Macht. »Mann« kann so z.B. prima über »die Schwulen« reden ohne sich nach eigener homo/hetetero Sexualität und Lust zu fragen.
– Einen heftigen Streit gab es um die Fragen »Soll die Lust an der Macht auf alle Fälle aufgelöst werden, weil sie ein Mittel zur Herrschaft ist?« oder »Ist es richtig, Phantasien zu leben (z.B. Fesseln beim Sex) und so bewusst mit der Lust an der Macht umzugehen?« Es gab unterschiedliche Positionen. Klar war nur: die Frage nach Lust und Macht hat ihren Hintergrund in patriarchalen Verhältnissen, in denen Männer über Frauen herrschen.
Die Diskussion war emotionsgeladen, kontrovers, offen und angenehm.

Was für mich in der AG wichtig war:
Für den Blick auf meine Sexualität verschafft mir Focaults Theorie gleichzeitig mehr Freiheit und mehr Verantwortung. Freiheit, weil ich nicht nach meiner »wahren« Sexualität graben muss. Ich kann meine Bedürfnisse in Bezug zum gesellschaftlichen Rahmen setzen, ausprobieren, kritisieren und entwickeln. Die Sexualität verliert ihren Mythos, wenn es nicht mehr um »das Wahre« geht. Verantwortung, weil ich nichts mehr auf die Triebe (o.ä.) schieben kann, sondern mich (und andere) fragen kann, warum ich wie Sexualität lebe und wie ich dabei von Herrschaft Gebrauch mache.