Nichts ist unmöglich! Seit jahren bestand in der autonomen Linken Konsens darüber, dass linke Anwälte keine Vergewaltiger vor Gericht verteidigen. Im Prozess um die Auseinandersetzung an der Gerhoffpassage auf der Demonstration um den Erhalt der Hafenstraße am 19.05.1993 kam alles ganz anders. Einer der Angeklagten wurde vom Hamburger Anwalt Jens Waßmann verteidigt, der vor gut einem Jahr auf eigenes Verlangen ein Mandat für einen Vergewaltiger und Frauenmörder übernommen hatte und erst auf massiven Druck seiner Bürogenossinnen abgegeben hatte. Abgetreten hatte er sein mandat dann allerdings nicht aus inhaltlichen Gründen; Begründung war der massive Druck seiner MitarbeiterInnen.
Im Folgenden dokumentieren wir nun die Begründung der Männer der gemischten Prozessgruppe für eine weitere Zusammenarbeit mit J.W. und anschließend eine Antwort mit radikaler Kritik am verhalten dieser Männer.Stellungnahme einiger Männer aus der ProzessgruppeZum AblaufWir haben uns Mitte September, nach 2 Jahren Unterbrechung, 6 Wochen vor Prozessbeginn zum ersten Mal wieder als Prozessgruppe getroffen. Schon vor ca. 3 Jahren war klar geworden, dass diese eine recht heterogene »Gruppe« ist, was sich im Lauf der Zeit auch nicht geändert hat. Es gab unterschiedliche Vorstellungen, wie der Prozess zu führen sei. Es herrschte aber eine ziemliche Unlust, sich nach dreieinhalb Jahren immer noch mit dieser Anklage rumzuschlagen.Alle Angeklagten wollten den Prozess so kurz wie möglich, mit so wenig aufwand wie nötig, also pragmatisch abhandeln. Dies wäre weiter zu diskutieren, was wir mit diesem Beitrag allerdings nicht leisten wollen. Hier wollen wir uns ausschließlich zu den Auseinandersetzungen um J.W. äußern.Einzelne aus der Gruppe haben vorher Diskussionen mit den Frauen aus dem Büro und mit J.W. geführt. Daraus ist ein gemeinsames Treffen mit J.W. und seinem Mandanten (im Gerhofstr.-Prozess), Frauen aus dem Büro und einigen aus der Prozessgruppe entstanden. Auf diesem Treffen haben sich sowohl J.W. als auch sein Mandant der Auseinandersetzung verweigert.
Ergebnis war, J.W. wollte sein Mandat nicht abgeben und sein Mandant bestand auf freier Anwaltswahl.
Der Konflikt wurde auf dem ersten Prozessgruppentermin zum Thema gemacht.
Fast alle verurteilten J.W.’s Verhalten im Frühjahr ’93, nur einige Anwälte blieben unklar. Zu einer differenzierten Auseinandersetzung oder gar zu einer gemeinsamen Bewertung kam es in der Prozessgruppe nicht.In dem Konflikt zur weiteren Zusammenarbeit der Prozessgruppe gab es unterschiedliche Positionen:
1. Keine Zusammenarbeit, solange der deutlich zu Tage getretene Widerspruch zu J.W. nicht geklärt ist. Er soll sein Mandat im Gerhofstr.-Prozess niederlegen, bis parallel eine inhaltliche Auseinandersetzung über sein Verhalten und um Männergewalt geführt wird. Die Argumentation dafür war, dass J.W. mit der Übernahme des Mandates (Vergewaltiger und Frauenmörder), und in der Auseinandersetzung im Büro eine Haltung gezeigt hat, wozu er sich äußern muss und womit auch die Prozessgruppe konfrontiert ist.
Durch die kurze Zeit bis Prozessbeginn ist eine gemeinsame Klärung vor der Prozessvorbereitung nicht möglich.
Es ging nicht um den Rausschmiss aus der Szene und den grundsätzlichen Boykott von J.W.. Es soll mit ihm diskutiert werden, da es eine lange gemeinsame Erfahrung mit ihm gibt. Es geht um eine Auseinandersetzung, die nicht konsequenzlos ist, aber den Menschen sehr wohl Fehler zugesteht; bei der es nicht um Scheinklarheiten geht, sondern um Veränderung. Dafür sollte Zeit sein, ohne den Druck des Prozessbeginns.
2. Ein Teil der Prozessgruppe war gegen eine Mandatsniederlegung mit nochmal völlig unterschiedlichen Positionen:
- Jeder Angeklagte hat das Recht, sich seinen Anwalt selbst auszusuchen. Diese Wahl haben andere zu akzeptieren.
- J.W. ist ein linker Anwalt und Genosse; Es gibt über Jahre gute Erfahrungen. Er muss an diesem Punkt zwar klar kritisiert werden, was aber nicht zwingend seinen Rauswurf erfordert.
- Andere Anwälte haben auch Leichen im Keller. Es macht keinen Sinn, J.W. als Sündenbock abzustempeln.
- Es bleibt nur noch wenig Zeit, er kann erstmal bleiben unter der Bedingung, dass parallel die Auseinandersetzung läuft.
- Warum soll ein zwangsweise zusammengewürfelter Haufen diese Auseinandersetzung zum Hauptpunkt machen, wenn es sonst keine öffentliche Reaktion gibt.
Es war keine gemeinsame Lösung in der Prozessgruppe möglich. Um die Prozessgruppe nicht zu sprengen, ließen wir uns auf folgenden Kompromiss ein:
Die Auseinandersetzung um sein Verhalten findet vorläufig parallel zur Prozessvorbereitung statt. Daraufhin überlegten einige, die Prozessgruppe zu verlassen, was sie aus Solidarität mit den Angeklagten und übrigen UnterstützerInnen dann doch nicht taten.
Am 9.11.93 war der erste Prozesstermin. Der Termin für die parallele Auseinandersetzung ist von J.W. 6 Wochen verschleppt worden. Erst auf nochmaligen massiven Druck kam es einen Tag nach Prozessbeginn zu einem gemeinsamen Treffen, an dem die meisten Frauen der Prozessgruppe nicht mehr teilnehmen wollten. Zentraler Punkt in der Auseinandersetzung war die Verteidigung von Vergewaltigern. Hier hat J.W. zum ersten Mal gegenüber Teilnehmern der Prozessgruppe Stellung zu dem Fall bezogen. Am ersten Prozesstag wurde unter anderem eine Zeugin der Anklage von J.W. vernommen. Viele haben diese Zeuginvernehmung als unerträglich empfunden. Die Kritik bezog sich nicht darauf, dass eine Zeugin der Anklage konsequent befragt wurde, sondern auf den herabwürdigenden und sexistischen Stil der Befragung. (Dies war auf dem parallelen Treffen mit J.W. kein Thema). An dieser Kritik hat es in der Prozessgruppe dann geknallt. Die Eskalation führte dazu, dass von den beteiligten Frauen die Zusammenarbeit mit J.W. in der Prozessgruppe aufgekündigt wurde.
Ein Teil der anwesenden Männer fand die Kritik richtig, andere haben sich für die weitere Mitarbeit der Frauen und deshalb gegen J.W. entschieden. Die daraufhin unter den beteiligten Männern, J.W. und einigen der Anwälte angesetzte Auseinandersetzung ging um die Art und Weise, wie Belastungszeuginnen befragt werden können, ohne das gesellschaftliche Verhältnis zwischen Männern und Frauen zu reproduzieren.
Bewertung:
Wenn im folgenden von »wir« die Rede ist, dann sind damit einige Männer aus der Prozessgruppe gemeint. Die Punkte, die wir zusammentragen, sind z.T. erst während der Nachbereitung in dieser Form diskutiert worden. Größtenteils konnten wir nicht auf gemeinsam geführte Diskussionen unter uns Männern in der Prozessgruppe zurückgreifen. Erst beim Schreiben dieses Papieres haben wir gemerkt, wie unterschiedlich die Motivationen waren, sich mit dem Konflikt auseinanderzusetzen. J.W. hat sich im Frühjahr ’93 zu einem Mehrfachvergewaltiger und Frauenmörder beiordnen lassen, der seit 13 Jahren im Knast und in der Psychiatrie (Sicherheitsverwahrung) einsitzt. Die Mandatsübernahme bedeutete in diesem Fall, zu prüfen, ob dieser Mann aus der Psychiatrie entlassen werden soll oder nicht. Das heißt, der Anwalt muss bzw. soll feststellen, ob der Mandant noch gefährlich ist und eine Bedrohung für Frauen darstellt. Im konkreten Fall wurde schon sehr früh deutlich, dass der Mann immer noch zu seiner sexistischen Haltung steht.
J.W. machen wir zum Vorwurf, dass er die Auseinandersetzung um Patriarchat/Sexismus nicht in einem Kollektiv geführt hat und sich inhaltlich nicht von seinem damaligen Mandanten distanziert hat.
Wir gehen davon aus, dass sich Menschen verändern können, und es legitim und möglich sein kann, dies zu überprüfen. Aber wir wissen, dass die patriarchale Zurichtung unser Bewusstsein prägt und sexuelle Gewalttaten kaum wahrgenommen werden. Deshalb können Einschätzungen über Veränderungen von sexistischen Gewalttätern nicht von Einzelnen, sondern nur kollektiv getroffen werden und müssen öffentlich vertreten werden. Mit kollektiv meinen wir hier, dass dies nicht nur von Männern, sondern nur zusammen mit Frauen entschieden werden kann. Als J.W.’s Mitarbeiterinnen von ihm verlangten, das Mandat niederzulegen, hätte er seine Beweggründe offen machen und in einer gemeinsamen Diskussion seine Haltung in Frage stellen lassen müssen. Das hat er nicht getan. Damit blieben den Frauen im Büro nur wenig Möglichkeiten, den Druck zu erhöhen, um die Mandatsniederlegung zu erreichen. Sie verweigerten J.W. die Mitarbeit. Erst danach legte er das Mandat nieder, wobei die schriftliche Begründung deutlich macht, dass er einzig und allein auf Druck reagierte und nicht, dass für ihn ein solches Mandat aus inhaltlichen Gründen nicht in Frage kommt.
Auch in der Prozessgruppen-Auseinandersetzung mit J.W. ist deutlich geworden, dass er mit uns nicht inhaltlich diskutieren wollte. Ihm scheint nicht klar geworden zu sein, dass er mit allen Beteiligten der Prozessgruppe in einem auch politischen Verhältnis steht und er um eine Auseinandersetzung nicht herumkommt. Er hat versucht, vieles/alles zu seiner Privatangelegenheit zu machen, über die er uns keine Rechenschaft schuldig ist. Eine Voraussetzung für eine Auseinandersetzung mit ihm war, auch wenn alle ein unterschiedliches Verhältnis hatten (persönliche Bezüge, langjährige gemeinsame politische Arbeit etc.), dass J.W. die Vertretung des Vergewaltigers und Mörders niedergelegt hat und damit überhaupt Raum für die Auseinandersetzung geschaffen war.
Die Bedingung für einige von uns zu akzeptieren, dass J.W. als Anwalt im Gerhofstr.-Prozess bleibt und eine gemeinsame Prozessvorbereitung stattfindet, war parallel die anstehende Auseinandersetzung zu führen. Das schien für uns die einzige Möglichkeit zu sein, die Prozessgruppe arbeitsfähig zu halten. Wir wollten, dass sich J.W. der Kritik öffnet und sich auf unsere Fragen einlässt. Die Diskussion sollte dann mit der gesamten Prozessgruppe zusammen geführt werden, um zu entscheiden, ob eine weitere Zusammenarbeit möglich ist.
Wir hatten die Vermutung, dass es zum Teil Ängste/Blockaden waren, und nicht der Unwille, sich auseinanderzusetzen, die es ihm schwierig machen, sich offen auf die Diskussion einzulassen. Nicht zuletzt auch deswegen weil wir selbst Situationen kennen, in denen wir es nicht geschafft haben, ohne das Gefühl des Ausgeliefertseins vor mehreren Leuten über unsere Fehler zu sprechen. Wir wollten ihm die Möglichkeit schaffen, eine genaue Diskussion jenseits von Trotzhaltung und gekränktem Stolz zu fuhren. Wir konnten uns kaum vorstellen, dass jemand, der sich seit Jahren in Szenezusammenhängen bewegt, nicht versteht, warum Frauen mit kämpferischen Mitteln agieren, wenn Mann sich zu einem Vergewaltiger und Frauenmörder beiordnen lässt. Es bestand die Möglichkeit, in dieser Diskussion (hauptsächlich von Männern getragen) die bestehenden unterschiedlichen Positionen zu Sexismus zu klären. Wir wollten die uns bekannte übliche Konfliktentwicklung bei derartigen Auseinandersetzungen durchbrechen, indem wir von uns aus Vorschläge machten, die Prozesse in Gang zu setzen, die genaues diskutieren möglich machen, jenseits von einfachen Lösungen. Wir wollten andere Möglichkeiten, als J.W. von vorneherein zu isolieren und aus unseren Zusammenhängen rauszuschmeissen. Diesen Raum für Diskussion nicht zu schaffen wäre für uns Männer verlogen gewesen, hätte unsere eigene Geschichte verleugnet und wäre im Grunde nur opportunistisch gewesen.
Zu unbewusst gehen auch wir als linke Männer häufig an Probleme heran, die sich aus der patriarchalen Ausrichtung dieser Gesellschaft ergeben. Beispielhaft sei hier nur die Zeuginvernehmung durch J.W. am 1. Prozesstag genannt, die in erster Linie von den Frauen der Prozessgruppe als herabwürdigend und sexistisch bezeichnet wurde. Ein Großteil der Männer musste hierauf erst gestoßen werden, dass unter diesen Voraussetzungen in diesen Auseinandersetzungen die Grenze zu Männerkumpanei und antipatriarchaler Diskussion als Alibifunktion fließend ist, dass ein Verlust an inhaltlicher Schärfe riskiert wird, ist uns zwar bewusst, doch ist es zum Teil eben nur theoretisches Wissen. Die Haltung, mit der viele von uns in die Prozessvorbereitung gingen, war dadurch bestimmt, den Prozess möglichst reibungslos und ohne Gesichtsverlust hinter uns zu bringen. Das und das Bedürfnis, den Prozess gemeinsam zu führen hat bewirkt, dass wir allzu schnell die Diskussion um/mit J.W. ausgelagert haben. Wir hätten eine heftige, vielleicht auch die Prozessgruppe-sprengende Debatte über das Verhalten zu Vergewaltigerverteidigern/Beigeordneten führen können. Das hat dazu geführt, dass wir keine klaren inhaltlichen und zeitlichen Bedingungen des Kompromisses festgelegt haben. So waren wir zum Beispiel nicht in der Lage, nach 3 Wochen auf einer sofortigen Auseinandersetzung in der Prozessgruppe zu bestehen. Das Gespräch, das endlich nach 7 Wochen mit J.W. stattfand, ist nicht über einen Anfang hinausgekommen und hat in diesem Rahmen keine Fortsetzung gefunden. Wir konnten nur ansatzweise mit ihm über seine Beweggründe, sich beiordnen zu lassen, diskutieren. Dabei haben wir seine Argumentation zu einfach durchgehen lassen, dass für ihn seine langjährige Auseinandersetzung um Psychatrie der Beweggrund gewesen ist, sich mit dem Fall zu beschäftigen. Die Diskussion konnte deshalb auch im konkreten Fall nur an der Oberfläche bleiben. Sie konnte nicht klar machen’ wie es kam, dass er einerseits den Fall übernommen hatte obwohl der Vergewaltiger seine sexistische Haltung weiter deutlich gemacht hat, J.W. aber andererseits behauptet, keinen Vergewaltiger vor Gericht im ersten Verfahren verteidigen zu wollen.
Ein Ziel war es, eine allgemeine Diskussion zu dem Thema anzuschieben. Wir sind zu schnell auf die Problematik gekommen, wie Anwälte mit Fällen umgehen sollen, für die es keine diskutierten »Richtlinien« gibt (was wir für diesen Fall nicht so sehen). Unsere vorläufig abschließende Bilanz ist, J.W. reagiert immer nur dann, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht. So z.B., als er gezwungen wurde, das Büro verlassen, oder das Gespräch mit Teilen der Gruppe zu fuhren. Danach versucht er den Konflikt als erledigt anzusehen, ihn unter den Teppich zu kehren . Das wollten wir nicht hinnehmen. Er muss endlich öffentlich Stellung beziehen, sich dem Konflikt öffnen und glaubwürdig seine Bereitschaft und sein Bemühen darstellen, dass er sein Verhalten ändern will. Nur das kann Grundlage für eine vielleicht mögliche neue Zusammenarbeit sein. Aber das zu beurteilen muss ein kollektiver und öffentlicher Prozess sein.
An (nicht mal alle) Männer der Prozessgruppe Gerhofstraße
Warum habt Ihr das bloß geschrieben? Weil es nach zwei öffentlichen Angriffen von feministischen Gruppen der Szene-Kodex so verlangt?
In der Hoffnung, dass drei Seiten – einfach weil’s drei Seiten sind angereichert mit viel oft, viel gut, »Auseinandersetzung«, »Kritik« und »Fragen«, was auch immer damit gemeint sein soll – die Gemüter zufriedenstellen und es wieder ruhig im Viertel wird?
Wo sind sie hin, Eure Wut, Euer Ärger, vielleicht auch Eure Bestürzung über den Vorwurf, Euer Verhalten sei Täterschutz? Runtergeschluckt, weil mann den feministischen Angriff am besten ins Leere laufen lässt, wenn mann so tut, als würde mann was sagen, aber eigentlich doch gar nix sagen will? Oder ist alles ganz anders?
Und einige von Euch laufen jetzt mit nem ganz schalen Gefühl rum, weil sie wissen, dass Euer Versuch, »als Männer gemeinsam was zu sagen« ein »nichtssagendes Kompromisspapier« gezeitigt hat?
Dann wäre es allerdings notwendig gewesen, offensiv dieses »wir als Männer« aufzukündigen und selbst – vielleicht alleine – Stellung zu nehmen.
Denn jede Konsenssuche in dieser Frage »unter Männern« schützt nur die reaktionärste Position und »schützt« fortschrittlicher denkende Männer davor, sowohl ihre eigenen Genossen anzugreifen, als auch sich mit ihrer Position grade – und angreifbar zu machen.
Oder kurz gesagt: Jede Konsenssuche unter Männern bedeutet Männerkumpanei – und deswegen ist Eure Stellungnahme auch alles andere als ein nichtssagendes Kompromisspapier. Wie auch immer, wir nehmen Euer Papier als das, was es ist: Ein Versuch, an der Auseinandersetzung mit der feministischen Kritik vorbeizukommen. Wie sonst wäre es möglich, drei Seiten zu schreiben, ohne mit auch nur einem politischen Satz auf die beiden Flugblätter zu antworten? Wie sonst wäre es möglich, andauernd und ermüdend von »Auseinandersetzung« zu schreiben, ohne dass irgendeine/r merken kann, was das wohl für Euch ist? Wie sonst wäre es möglich, so ganz einfach gegen »einfache Lösungen« anderer zu schreiben, ohne deutlich zu machen, was Eure »Vorschläge« für ein »genaues Diskutieren« mit J.W. sein sollten? Dass Ihr dabei die Kritik der Frauen rundum bestätigt und Euren Umgang noch verteidigt, macht es nur noch notwendiger, die Auseinandersetzung weiterzuführen. Dies geschieht öffentlich, weil es für uns in der Frage der Deckung von Vergewaltiger-Anwälten nichts »unter Männern« zu bereden gibt.
In dem Teil Eures Papiers, den Ihr »Bewertung« nennt, wird so gut wie nichts bewertet. Dabei sollte das Papier doch »die notwendige Überprüfung unserer Entscheidungen in dem Konflikt« darstellen. Ihr stellt noch einmal Euer Verhalten aus Eurer Sicht dar, das ist leider alles. Fast alles.
Ein Fünkchen Selbstkritik leuchtet ganz zu Ende auf (»dass wir allzu schnell die Diskussion um /mit J.W. ausgelagert haben«), wird aber sofort wieder abgedunkelt: »Wir hätten eine heftige, vielleicht auch die Prozessgruppe sprengende Debatte […] riskieren können.«
Ganz erschrocken schreibt Ihr da schnell ein »wir hätten riskieren können«, wo Eurem selbstkritischen Anflug nach ein »hätten riskieren müssen« hingehört.
Und das scheint Euch ja nach wie vor das Undenkbare an sich zu sein: Eine Prozessgruppe zu sprengen -wegen dem Verteidiger eines Vergewaltigers und Frauenmörders und einem Mandanten-»Genossen«, der schnell gepeilt hat, wo die Zuflucht vor den bösen Frauen liegt: bei den Freiheitsrechten des bürgerlichen Mannes von 1793. Wenn’s nicht so ernst wäre, wäre es richtig witzig: Wie praktisch sich doch manchmal hochtheoretische Fragen bspw. über das Verhältnis von Klassen-und Geschlechterwiderspruch klären.J.W. hat sich – folgen wir Eurer Stellungnahme – selbst ins Abseits geschoben, da »das Gespräch ,das endlich nach 7 Wochen […] stattfand, […] nicht über einen Anfang hinausgekommen (ist) und […] keine Fortsetzung gefunden« hat.
Gewollt habt ihr das nicht.
Ihr wolltet mit dem »linken Anwalt und Genossen« eine »Auseinandersetzung« […] bei der es nicht um »Scheinklarheiten geht«, die zu einem Ergebnis »jenseits von einfachen Lösungen« führt.
Ganz abgesehen davon, dass Ihr die Haltung aller Frauen und Männer, die es prinzipiell ablehnen, mit Vergewaltigeranwälten zusammenzuarbeiten mit Begriffen wie »Scheinklarheit« und »einfache Lösungen« diffamiert (und wir hatten uns eingebildet, es habe da mal einen Konsens in der autonomen Linken gegeben); hättet Ihr ebenso einfühlsam bei einem »linken Anwalt und Genossen« argumentiert, der einen Nazischläger verteidigt? Nein? Woran liegt’s? Doch nur daran, dass gegenüber einem Nazi die Verhältnisse klar sind, gegenüber anderen Männern-Tätern-Täterschützern aber wohl nicht, und so bastelt Ihr mit der so hochbeschworenen Sensibilität gegenüber den »Ängsten/Blockaden« J.W.’s doch nur weiter an der Verteidigung des Status Quo: Wo jedes klare Verhalten mal eben als »Scheinklarheit und einfache Lösung« weggeputzt werden kann und womöglich noch verantwortlich ist für die »Ängste und Blockaden« des »linken Anwalts und Genossen« lässt sich möglicher Kritik am eigenen patriarchalen Verhalten schon mal gelassen und mannhaft entgegenblicken: Mutti, Mutti, sie hat überhaupt nicht gebohrt!Ihr wolltet eine »Auseinandersetzung« und habt deswegen – weil die Prozessgruppe so heterogen war – Euch auf einen »Kompromiss« verständigt: »Die Auseinandersetzung um sein Verhalten findet vorläufig parallel zur Prozessvorbereitung statt.«
Was Ihr hier auch nach der massiver Kritik von Feministinnen an Euch und wir-wollen-gar- nicht-wissen-wieviel Beziehungsgesprächen lß1ßler noch sturzdemokratisch als »Kompromiss« verteidigt, bedeutet rein faktisch die Übernahme der reaktionärsten Position Eurer Gruppe: Freie Anwaltswahl für freie Männer.
Die ganze Litanei (»auch wir als linke Männer« seien oft zu unbewusst, anderes wäre »für uns Männer verlogen gewesen« etc.). Eure Selbstzweifeleien schmieren nicht das zu, was das Resultat ist: Die Verteidigung männlicher Definitionsmacht.
Ihr habt als Männer durchgesetzt, wie Konflikte und vor allem mit welcher Konsequenz sie geführt werden.
Ganz real: Ihr habt allen Frauen auferlegt, dass sie sich mit einem Vergewaltigerverteidiger konfrontieren lassen müssen, sofern sie sich in gemischten (das heißt: männlich dominierten) Zusammenhängen bewegen. Soweit zu Euren Begriffen von »Kompromiss« und »heterogener Gruppe«.
Es geht an diesem Punkt nicht die Bohne um die Frage, wie »unbewusst« auch »wir« als linke Männer »häufig an Probleme herangehen« – ein Kräherich kackt dem anderen kein Auge aus – sondern ob Männer bereit sind, ihre Definitionsmacht abzugeben. Das hätte bedeutet, von den Erfahrungen der ehemaligen Mitarbeiterinnen J.W.·s auszugehen und ihre Haltung, den Kontakt zu J.W. abzubrechen, zu unterstützen. Also für Euch: dafür zu sorgen, dass ihm kein Mandat aus der Linken zukommt. (Mit Ende des Gerhofstraßen-Prozesses seid Ihr unsres Erachtens da auch noch nicht aus der Verantwortung raus: Ihr habt mit Eurem Vorgehen J.W. als Anwalt der Linken legitimiert. Wenn ihr an Eurer Prozessgruppe irgendwas verstanden habt, müsste es zum Beispiel Eure Sache sein, im Hafen zu intervenieren; sind die doch durch die Tür gegangen, die Ihr aufgemacht habt.) Aber Ihr habt die Auseinandersetzungen der Frauen mit J.W. schlichtweg nicht ernst genommen: Die Männer schreiten zur Tat und setzen – als ob nichts gewesen wäre – eine neue vernünftige Auseinandersetzung (jetzt endlich mal ohne »Scheinklarheiten«, »einfache Lösungen« und weiteren Klimbim) an; ja, selbst eine richtige Untersuchung soll’ s nun sein – Ihr redet von Fragen an J.W. – nach deren positivem oder negativem Ausgang entschieden wird. Ihr habt diesen Umgang in Eurem Papier dargestellt, Euch an keinem Punkt kritisiert: Damit habt Ihr nun in Eurer Stellungnahme ein weiteres Mal den Kampf der Mitarbeiterinnen und die Konsequenzen, die sich aus ihrer Konfrontation mit J.W. ergeben, beiseitegewischt und darauf beharrt, dass Ihr es seid, die hier Definitionsmacht und somit Entscheidungskraft haben. Aber Ihr wolltet die »bekannte übliche Konfliktentwicklung bei derartigen Auseinandersetzungen durchbrechen« und einen Raum für Diskussionen schaffen. Dies nicht zu tun »wäre im Grunde nur opportunistisch gewesen«.
Was heißt denn opportunistisch?
Opportunismus bedeutet die »allzu bereitwillige Anpassung an die jeweilige Lage um persönlicher Vorteile Willen« (Duden).
Was ist die Lage?
Bleiben wir der Einfachheit halber in der Szene, die dem eigenen Selbstanspruch nach der fortschrittlichste Sektor der Gesellschaft ist:
In Gießen läuft seit Monaten der Versuch, eine Hexenjagd – ein anderer Begriff fällt uns wirklich nicht ein –gegen Feministinnen zu inszenieren, die einen Vergewaltiger beim Namen genannt haben. (Siehe die Gießener Zeitung »Unzensiert« im Schwarzmarkt). In Harnburg wurde eine Frau, die den Vergewaltiger ihrer Tochter mit Namen und Bild offen gemacht hat, massiv angegriffen. Typen reklamierten nicht nur hier das Recht, an der »Prüfung« der »Vorwürfe« und eventueller Konsequenzen beteiligt zu sein. Ihr selbst – an dieser Stelle in Eurem Text sind wir einfach immer wieder sprachlos – sprecht Euch nicht nur das Recht zu, auch als Träger des Patriarchats über die »Rehabilitierung« sexistischer Gewalttäter entscheiden zu können, nein, Ihr entblödet Euch nicht einmal, noch generös festzustellen, dass dies selbstverständlich »nicht nur von Männern, sondern nur zusammen mit Frauen entschieden werden kann…
In der Flora bietet ein »Szene-Kabarett« eine sexistische, gewaltverherrlichende Show, Frauen und einige wenige Männer, die dagegen vorgehen, beschreiben später eine Situation, die für sie reale Bedrohung gewesen ist. Wir glauben, das sollte reichen, um die »jeweilige Lage«, den »antipatriarchalen Zustand« der linken Szene zu skizzieren. Alles weitere lässt sich hochrechnen.In dieser Situation ist es nicht »im Grunde opportunistisch«, wenn Männer an Punkten, die ihnen deutlich werden oder sagen wir lieber: deutlich gemacht wurden, sich gegen den patriarchalen Normalzustand stellen und sich offen gegen einen ausgemachten Täter oder Täterschützer verhalten, sondern das erste, was ihnen ansteht: Männersolidarität, die innerhalb der herrschenden Verhältnisse immer Verteidigung der eigenen Herrschaftsbeteiligung, immer Männerkumpanei ist, aufzukündigen und (hier: Definitions- und Entscheidungs-) Macht abzugeben.
Die ewige Klage darüber, dass »wir als Männer« nun leider immer noch nicht zum neuen Menschen mutiert seien, es uns von daher nicht zustünde, andere Männer blablablubb, zementiert nur die Zustände. Das ist dann nicht nur Opportunismus – also nicht nur anpassendes Verhalten gegenüber den Zuständen: Männer tun sich gegenseitig nichts, und solange von Frauen nichts kommt, herrscht Ruhe – sondern faktisch deren aktive Reproduktion. Die andere Seite der Medaille ist das augenzwinkernde Einverständnis mit Sexismus und patriarchaler Zurichtung, der eigenen, wie der anderer Männer. (So sind wir halt, gell?)
Wer darüber klagt, dass das eigene Bewusstsein patriarchaler Zurichtung unterliegt, muss eben Schritte, einen Kampf dagegen entwickeln.
Das bedeutet mehr als die bloße Einsicht, dass wir in unserer sozialen Existenz als Männer selbst Gegenstand revolutionärer, nämlich feministischer Politik sind.
Es bedeutet anzuerkennen, dass sich kritisches Bewusstsein von Männern über ihre Funktion im Geschlechterwiderspruch nicht aus »sich selbst heraus« oder gar aus einer »Freiwilligkeit« begründen kann, sondern überhaupt nur als Folge des Frauenkampfes bestimmbar ist. Damit gibt es aber keine antipatriarchale Praxis von Männern, die sich als »unabhängig« vom Frauenkampf und seinem politischen Inhalt , dem Feminismus, definieren kann.
Im Bewusstsein dieser Tatsache bedeutet das aber auch loszugehen: Und das heißt zum Beispiel auch, dass Männer – egal ob in 10-jährigen Freundschaften oder autonomen Gruppen – sich dem männerbündischen gegenseitigen »Verstehen« verweigern, aufhören, sich wechselseitig gegen Forderungen von Frauen Schutz zu sein, sondern sich gegenseitig den Boden eigener Privilegienverteidigung entziehen.dieser und jener und ein paar andere
März 94
weg: flammende herzen